06 – B wie Bilder

Das Licht ging aus.
Eine leise, langsame, sehr bekannte Melodie erklang auf der Bühne. In dem Lied ging es um Bilder eines geliebten Menschen, welche man nie vergessen würde, auch wenn dieser Mensch nicht mehr da wäre.
Das verloschene Bühnenlicht wurde schummrig und das Publikum sah dadurch den über einen Tisch gebeugten Jonas in der Mitte der Bühne. Es schien ganz so, als würde der Junge grübelnd im Halbdunkeln sitzen, den Kopf schwer auf einen Arm gestützt. Er trug immer noch das T-Shirt im kräftigen Pink-Ton.
Die Musik wurde immer leiser und verstummte schließlich.
„Was ist mit dir, Jonas?“, fragte Hannah leise ihren Freund und erschien auf der Bühne. Auch ihr T-Shirt war wieder im einem kräftigen Pink.
Jonas schüttelte den Kopf und wendete sich ab, ganz so als wollte er Hannah nicht sehen.
Das Mädchen ging ruhig zum Tisch, hob ihre rechte Hand und strich liebevoll über den Kopf ihres Freundes.
„Ich bin hier, mein Geliebter. Ich bin hier.“, wisperte sie kaum hörbar. „Lass mich dir helfen.“
Erst schüttelte Jonas erneut den Kopf und dann wendete er sich abrupt um, zu Hannah, welche direkt neben ihm stehen geblieben war.
„Du hattest recht, so recht! Sie war es! Warum sie?“, er schlang seine Arme um Hannahs Körper und zog sie verzweifelt an sich.
Hannah strich einige Sekunden beruhigend über den Kopf ihre Freundes und murmelte tröstende Worte.
Dann griff sie auf den Tisch und hob einige Blätter, nein, Fotos auf.
Vom Zuschauerraum aus konnte man nicht sehen, was auf den Bildern zu sehen war, nur dass es sich Tatsache um Fotografien handelte.
„Das Mädchen…, das sie um gebracht haben…, …war Leonie…“, langsam begriff Hannah die Tragweite.
Ein entsetztes Keuchen ging durch den Zuschauerraum. Ein jeder kannte Leonie. Sie war ein wahrer Sonnenschein. Jeder im Saal konnte bezeugen, dass sie vermutlich noch nie schlechte Laune gehabt hatte und jeden freundlich anlächelte, den sie traf.
Doch bevor das entsetzte Gemurmel im Publikum über Hand nehmen konnte, erschien Leonie auf der Bühne mit dem Buchstaben B in der Hand und heftete ihn zum Alphabet. Sie trug ein langes weißes Kleid.
„B wie Bilder.“, sagte sie noch, bevor sie wieder von der Bühne abging. Der Scheinwerfer, welcher Leonie angestrahlt hatte, fiel nun zurück auf die zwei am Tisch befindlichen Protagonisten. Das Licht auf der Bühne wurde heller, schärfer, fast brutal grell.
„Jonas, erzähl mir von ihr, erzähl mir von euch…“, bat Hannah den trauernden Jungen.
Sie hob eines der Bilder hoch und das Bild flammte als riesige Projektion auf der Bühne auf, das Licht wurde wieder sanfter.
„Wo war das, Jonas? Ihr sehr so glücklich aus…“, Hannah hob Jonas Kinn an, drückte ihn einen kurzen Kuss auf die Stirn und reichte ihm das Bild. Leonie strahlte darauf lachend in die Kamera. Es war ein sonniger Tag und im Hintergrund war ein albernder Jonas zu sehen, in Badehose, im Sand an einem See. Das Bild schien ein Selfie zu sein.
Jonas lies Hannah los und schaute auf das Bild in seiner Hand. Das Mädchen setzte sich auf seinen Schoß und Jonas begann zu erzählen.
Es folgten weitere Bilder und lustige Anekdoten dazu, so das dass Publikum konnte mitlachen und für ein paar kurze Augenblicke herrschte ein sanfter Frieden im Theater.
Das letzte Bild zeigte eine dunkle Gasse, mit einer zugedeckten Gestalt an deren Ende. Das weiße Laken bot einen extremen Kontrast zu der vormals heiteren Stimmung.
Erneut ging ein Keuchen durch die Reihen des Publikums. Das Licht und die Bildprojektion auf der Bühne erloschen.

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