09 – J wie Journalismus

Ganz als wollten die Schüler der neunten Klasse eine Schweigeminute einlegen, blieb die Bühne etwas länger dunkel. Die leisen Geräuschen, welche von der Bühne her kamen, sprachen aber eher von einem Bühnenbildumbau.
Als das Licht dann wieder anging, glaubte man sich mitten in einem Klassenzimmer wiederzufinden.
Zehn Schüler saßen verteilt an den Bänken. Einige lasen Zeitung, ein Mädchen schien ihr Make-Up aufzufrischen, ein Junge warf einen kleinen Ball in die Luft, um ihn gleich wieder einzufangen. Jeder von ihnen trug ein T-Shirt in einem anderen Lilaton.
Durch die angedeutete Tür des Klassenzimmers, auf der linken Seite, kamen Hannah und Jonas auf die Bühne. Hannah und Jonas trugen ihre T-Shirts in kräftigem Pink.
„Hast du diesen Scheiß gelesen?“, schimpfte Hannah lauthals in Richtung Jonas und hielt eine Zeitung in die Höhe. „Rassisten unter uns? Vater der Toten erhebt schwere Vorwürfe gegen Nazi-Ex-Freund!“
Ein reißerisch aufgemachter Artikel mit dem Bild der zugedeckten Leonie und dem Bild des gramgebeugten Vaters flammte auf der Bühne als große Projektion auf.
Hannah las nun einen Teil des Artikels vor. „Laut bestätigten Aussagen eines Freundes der Familie soll der Vater schwere Vorwürfe gegen den Ex-Freund Jonas H. erheben. „Ich habe meiner Tochter immer gesagt, dass ihr Ex-Freund ein Nichtsnutz von einem Nazi ist. Deswegen habe ich ihr den Umgang mit ihm verboten. Sicherlich war das seine Rache!“ Der Freund sagte weiter…“, Hannah senkte die Zeitung und sah zu Jonas. „Was ist denn das für ein Müll! Ihr habt euch vor einem Jahr getrennt und du bist alles, aber kein Nazi!“
Das Mädchen, welches sich geschminkt hatte, griff in die Unterhaltung ein. „Also in meiner Zeitung steht was über Drogen, und dass Leonie da mit dringehangen hat!“ Eine neue Schlagzeile wurde riesengroß sichtbar: „Nachbar ist sich sicher – Drogensumpf im Viertel“. Daneben ein Bild von Leonie, welche fast übermütig in die Kamera lachte.
Das Mädchen griff nun wieder zum Spiegel. Manche im Publikum schmunzelten, denn Gudrun war eigentlich nicht dafür bekannt so eitel zu sein, ganz im Gegenteil. Zeitgleich schockierte die im Publikum Anwesenden aber auch das dunkle Lila ihres T-Shirts.
Einer der zeitunglesenden Jungen, in einem hellrosa T-Shirt, schaltete sich nun ebenfalls ein. „Die Bullen wissen doch noch gar nichts, hier steht…“, die Schlagzeile wurde wieder für alle sichtbar, „Ermittlungs-Fiasko im Fall Leonie – Schon wieder Polizei-Panne?“.
Es folgten noch weitere Schlagzeilen, eine reißerischer als die andere. Bis Gudrun in ihren Spiegel schauend meinte: „Naja, vielleicht war es ja das Pack selber!“
Jonas schoss zu ihr und baute sich vor ihr auf. „Wen bezeichnest du hier als Pack?“
Gudrun legte den Spiegel langsam und vorsichtig auf ihre Bank und stand auf. „Du kannst wohl nicht lesen, du Zartrosa-Freak!“, fauchte sie ihn an. „Da grinst der Vater auf der Beerdigung seiner Tochter! Das nenne ich Pack! Hier schau!“ Damit hielt sie Jonas ihre Zeitung hin. Die Schlagzeile erschien wieder auf der Bühne: „Die bittere Wahrheit – Leonies grausame Kindheit mit ihrem despotischen Vater“. Das Bild zeigte den traurig lächelnden Vater Leonies in der Kirche, während der Trauerfeier.
Hannah war nun an Jonas herangetreten und schaute mit in die Zeitung. „Aber das war doch, als er dich gesehen hat, Jonas!“, hob sie an. „Gudrun, du dumme Kuh! Leonies Papa hat Jonas angelächelt, weil er ihr die letzte Ehre erwiesen hat, trotz das er ihn damals davon gejagt hatte!“
„Schaut mal, das steht auf Seite 7!“ rief einer der anderen Mitschüler. Ein fast unscheinbarer Artikel wurde sichtbar, dessen Überschrift lautete: „Mord an 17jähriger aufgeklärt“.
Jonas las den Artikel stockend vor. Es wäre ein einfacher Raubüberfall gewesen, der schief gelaufen wäre. Leonie wollte ihr Handy nicht herausgeben und der Täter hätte sie daraufhin niedergeschlagen und dabei aus Versehen getötet.
Gudrun nahm etwas von ihrer Bank und heftete Sekunden später ein J an die entsprechende Stelle im Alphabet.
„J wie Journalismus.“, sagte sie und die Bühne wurde dunkel.

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