10 – G wie Grundgesetz

Als das Licht wieder anging, waren fast alle Schulbänke besetzt. Lediglich Kevin, Kenny und Guido standen vor den Bänken, direkt neben dem Lehrerpult. Am Lehrerpult saß eine Mitschülerin namens Cosima. Sie trug eine überdimensionale Brille, eine Lockenperücke, ein viel zu weites Kostüm und klobige Schuhe. Dazu war sie noch stark geschminkt und der Stil ihres Make-Ups und ihrer Kleidung wies sie als eine Endvierzigerin aus. Cosima stellte sich als Lehrerin Frau Felsenkirchen vor.
„Ähm ja… Alter… ähm, ich bin der Kevin…“, sagte der Kleinste der Jungen. „… na und die Frau Felsenkirchen sagt, ich soll euch G wie das Grundgesetz erklären… na ja, ähm also in unserer Sprache… nicht in dem komischen Paragrafengelabber…“
Die Zuschauer im Publikum lachten herzhaft. Kevin, der gerade scheinbar keinen einzigen vollständigen Satz herausbringen konnte, galt als einer der intelligentesten Schüler der letzten Jahrzehnte. Der über einen Kopf kleinere und erst fünfzehn Jahre alte Junge hatte bereits die elfte Klassenstufe erreicht. Es hatte zwar einige Zeit gedauert, doch seine Mitschüler mochten den Knirps, der nicht nur Einsen nach Hause brachte. Kevin brachte auch den einen oder anderen Eintrag wegen angestelltem Blödsinn, zu welchem er auch gern seine Klassenkameraden anstiftete.
Nach Kevins Einleitung warfen Kenny und Guido sich regelrecht in Position, bevor sie sich gegenseitig ansprachen.
„Bro, das ist völlig bescheuert, was du da erzählst!“, brummte Kenny Guido an.
„Alter, du bist bescheuert!“, schnauzte Guido zurück.
„Im Paragraf 5,“, begann Kevin zu erklären.
„Artikel!“, unterbrach Cosima Kevin sofort.
„Hä?“, fragte Kevin nach.
„Das heißt nicht „Hä“, sondern was meinen Sie, Frau Felsenkirchen, und im Grundgesetz gibt es keine Paragrafen, sondern Artikel.“, verbesserte Cosima ihren angeblichen Schüler.
„Ähm, hä? Ähm, was meinen Sie Frau Felsenkirchen? Der, die, das oder was?“, hakte Kevin nach.
Die Zuschauer und die elfte Klasse lachten herzhaft.
Die vermeintliche Lehrerin klopfte mit einem langen Lineal auf ihr Pult und bat lautstark um Ruhe.
„Ja, der, die, das sind Artikel, aber das meine ich nicht. Im Grundgesetz nennt man das, was sonst die Paragrafen sind, Artikel.“, erläuterte Cosima dem Jungen. „Und nun erzähle weiter.“
„Echt verrückt!“, kommentierte Kevin und begann erneut mit seiner Erklärung. „Im Para…ähm Artikel 5 steht, dass Kenny recht hat und Guido sowas nicht sagen darf.“
„Das war deine Erklärung zu Artikel 5?“, begehrte Cosima auf.
„Hä?“, fragte Kevin.
„Das heißt nicht „Hä“, sondern was meinen Sie, Frau Felsenkirchen, und das ist deine Erklärung zu Artikel 5 des Grundgesetzes? Hast du das Gesetz gelesen und wenn ja, hast du überhaupt verstanden, was du gelesen hast?“, fragte Cosima in einem gönnerhaften Ton nach.
„Na klar, Alter… ähm Frau Felsenkirchen habe ich das Grunddings gelesen!“, begehrte Kevin auf. „Das ist doch ganz einfach. Der Kenny hat gesagt, dass es völlig bescheuert ist, was Guido gesagt hat. Dem Kenny seiner Meinung nach, ist die Meinung vom Guido Schrot. Der Kenny sagt seine Meinung und das darf er laut dem 5. Artikel. Guido, der Kunde, sagte aber, Kenny ist bescheuert. Und damit beleidigt der meinen Bro und das darf der nicht, nach dem 5. Artikel und einem Teil vom 1. Artikel, von wegen der Ehre, und noch wegen dem 2. Artikel, von wegen dem nicht verletzen und irgendwas noch vom 3. Artikel mit den Anschauungen. Klar soweit, Sis… ähm Frau Felsenkirchen?“
„Hä?“, antwortete Cosima und während sich das Publikum vor Lachen ausschüttete, ging das Licht aus und beendete diesen Akt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert