Als das Bühnenlicht wieder anging stand Cosima als Frau Felsenkirchen vor der Klasse und hielt mehrere Blätter in der Hand.
„Was ist ein Kollateralschaden?“, begann sie vorzulesen. „Die Definition von Kollateralschaden besagt: es handelt sich um eine nicht zu vermeidende Nebenwirkung oder nachteilige Begleiterscheinung, die durch eine zielgerichtete, unverzichtbare Maßnahme verursacht wird. Als Kollateralschaden kann man z.B. einen Wasserschaden beim Löschen eines Brandes oder einen bei einer militärischen Aktion entstehender Schaden, an Eigentum oder Menschenleben, der nicht beabsichtigt ist, aber dennoch in Kauf genommen wird, bezeichnen. Ein militärischer Kollateralschaden sind z.B. die 27 Zivilisten, welche beim letzten Drohnenangriff getötet wurden.“
„Falsche Zeit, falscher Ort!“, rief Guido in Frau Felsenkirchens Vortrag hinein.
„Soso, falsche Zeit, falscher Ort?“, hakte die vermeintliche Lehrerin nach.
„Genau!“, tönte Guido etwas großspurig.
Im Publikum und im Klassenraum ertönten leise Lacher.
„Das lasse ich mal so stehen, Guido, aber ich komme noch einmal darauf zurück.“, dann legte Frau Felsenkirchen ihre Blätter auf ihr Lehrerpult, nahm den Buchstaben K und heftete ihn an seine Stelle auf der Buchstabenwand. „K wie Kollateralschaden.“, sagte sie dabei.
Nun begab Frau Felsenkirchen sich wieder zur Tafel und als sie vor der Klasse stand, begann sie erneut zu sprechen.
„Ich möchte euch noch ein paar Fragen stellen, bevor ich wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückkomme. Bei wem von euch ist in der näheren Verwandtschaft schon jemand gestorben?“
Es erfolgte keine Reaktion.
„Kommt schon, Hände hoch. Wer hat schon ein Familienmitglied oder einen Freund verloren?“
Zögerlich meldeten sich ca. 75 Prozent der Klasse.
„Okay. Fangen wir mit Kevin an. Wer ist bei dir gestorben?“
„Mein Uropa.“, antwortete Kevin.
„Wie alt war dein Uropa?“
„99.“
„Und woran ist er gestorben?“, fragte Frau Felsenkirchen weiter.
„Ähm naja,“, druckste Kevin kurz herum. „ähm, er hatte einen Herzinfarkt, ähm, beim, naja, ihr wisst schon…“
Das Publikum begann schallend zu lachen, ja, die Geschichte war in der Stadt bekannt.
„Okay, er starb mit 99 an einem Herzinfarkt.“, fasste Frau Felsenkirchen zusammen. „So, wer hatte sich noch gemeldet. Mirabelle, wer war es bei dir und woran ist er oder sie gestorben?“
„Meine Tante. Sie ist gestorben, als sie noch nicht einmal ein Jahr alt war.“, antwortete Mirabelle. „Sie ist an Masern gestorben, sie war noch zu klein zum Impfen.“
„Dafür ist meine zweijährige Schwester an irgendeinem Impfstoffgelumpe gestorben!“, rief Kenny rein.
„Okay. Danke euch beiden.“, unterband Frau Felsenkirchen sofort jede Diskussion. „Gudrun, du hattest dich auch gemeldet.“
„Ja, mein Opa ist mit 55 an Krebs gestorben.“, antwortete Gudrun leise.
So ging die Befragung weiter. Nachdem Frau Felsenkirchen alle Schüler, die sich gemeldet hatten, einzeln befragt hatte, bedankte sie sich bei ihnen.
„Aber eine weitere Frage habe ich noch. Gab es jemanden von euch, der nicht traurig war, jemanden, der nicht getrauert hat? Dann hebt bitte wieder die Hand.“
Diesmal blieben alle Hände unten.
„Und nun kommen wir zurück zum Thema.“, Frau Felsenkirchen legte eine kurze Kunstpause ein. „Stellt euch vor, eure Lieben wären nicht an Krebs, Masern, Unfällen oder sonstigem gestorben, sondern wären einer der 27 Zivilisten des Drohnenangriffs gewesen. Falsche Zeit, falscher Ort, Kollateralschaden?“
Damit ging das Bühnenlicht aus.