18 – L wie Lyrik

Das Bühnenlicht ging an.
Ein bekannter Rap-Song hallte durch das Theater.
Der schlüpfrige Text brachte die Zuschauer zum entsetzten Aufstöhnen und Augenverleiern.
Die Klasse sang lautlos mit und wippte zur Musik.
Cosima saß weiterhin als Frau Felsenkirchen an ihrem Pult und Gudrun stand an der Tafel, in einer Hand den Buchstaben L und in der anderen eine Fernbedienung.
Gudrun schaltete die Musikanlage aus.
„L wie Lyrik.“, hob sie an zu sprechen. Während sie den Buchstaben L an seine entsprechende Stelle an der Buchstabenwand anbrachte, sprach sie weiter. „Lyrik gilt als Ausdrucksform, durch welche subjektives Erleben, Gefühle, Stimmungen oder Gedanken in Form von Reimen oder Rhythmus wiedergegeben werden. Als Lyrik bezeichnet man z.B. die Ode, die Ballade, das Sonett, die Hymne, das Epigramm, das Lehrgedicht, das Lautgedicht, Poesie und den Song.“
Gudrun stellte sich unterdessen zurück an die Tafel und ließ eine weitere Strophe des Rap-Songs abspielen.
Nachdem diese Strophe endete, sprach das Mädchen weiter. „Rap gilt als Sonderform der Lyrik, da es ein Sprechgesang mit Musik ist, welcher rhythmisch und oftmals in Reimen wiedergegeben wird. Rap kommt aus der afroamerikanischen Kultur, dessen genaue Entstehung nicht mehr nachzuweisen ist. Doch nutzten bereits Feldarbeiter diese Art des Sprechgesang, sie wurden „work songs“ genannt.“
Gudrun machte eine kurze Pause, holte einige Blätter von ihrem Platz und las dann einen Text ab.
„Allgemeine Schulzeitung, Darmstadt: Immer wieder wird die Wirksamkeit der Volksschule bei dem zunehmenden Sittenverfall diskutiert oder die immer lauter werdenden Klagen über die zunehmende Rohheit und Verwilderung unserer Jugend, besonders der erwachsenen Dorfjugend, erörtert.“, in der extra eingefügten Kunstpause hörte man das Lachen des Publikums. Dann sprach Gudrun weiter: “1826.“
Die Überraschung des Publikums war regelrecht zu spüren.
„Lyrik in ihrer erhabensten Form stellt z.B. ein Gedicht von Rainer Maria Rilke dar.“, sprach Gudrun weiter. „Hier ein Auszug:
Pfauenfeder:
in deiner Feinheit sondergleichen,
wie liebte ich dich schon als Kind.
Ich hielt dich für ein Liebeszeichen,
das sich an silberstillen Teichen
in kühler Nacht die Elfen reichen,
wenn alle Kinder schlafen sind.“

Die gefühlvolle Rezitation des Textes verzauberte das Publikum.
Nach einer weiteren Kunstpause setzte Gudrun ihren Vortrag fort.
„Unsere Ausdrucksformen, unser Sprachgebrauch, unser Umgang erschreckt die sogenannte ältere Generation. Sie verteufelt unsere Musik. Sie meint, wir verrohen oder verdummen gar. Sie kennen vielleicht den Ausspruch:
Die Jugend liebt den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren die Lehrer. Er stammt von einem der herausragendsten Philosophen der Geschichte. Von Sokrates, 469-399 vor Christus.“
Nach einer weiteren kurzen Pause begann Gudrun den letzten Abschnitt ihres Vortrags.
„Ich habe Ihnen noch ein Beispiel von Lyrik mitgebracht
Sauna und Beischlaf
Am besten fickt man erst und badet dann.
Du wartest, bis sie sich zum Eimer bückt
Besiehst den nackten Hintern, leicht entzückt
Und langst sie, durch die Schenkel, spielend an.
Du hältst sie in der Stellung, jedoch später
Sei’s ihr erlaubt, sich auf den Schwanz zu setzen
Wünscht sie, die Fotze aufwärts sich zu netzen.
Dann freilich, nach der Sitte unserer Väter

Dient sie beim Bad. Sie macht die Ziegel zischen Im schnellen Guß (das Wasser hat zu kochen)
Und peitscht dich rot mit zarten Birkenreisern
Und so, allmählich, in dem immer heißern
Balsamischen Dampf läßt du dich ganz erfrischen Und schwitzt dir das Geficke aus den Knochen.“

Wiederum brachte der schlüpfrige Text die Zuschauer zum entsetzten Aufstöhnen und Augenverleiern.
Gudrun beendete ihren Vortrag mit folgenden Worten: „Der Autor dieses Gedichtes gilt als einflussreicher deutscher Dramatiker, Librettist und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Es ist Berthold Brecht.“
Und das Bühnenlicht erlosch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert