23 – U wie Unsinn

Es wurde wieder umgebaut.
Die Umbaumaßnahmen der Bühne nahmen ein paar Minuten in Anspruch und als das Licht wieder anging, war der Klassenraum verschwunden.
Ein Tisch stand am linken Bühnenrand und daneben befand sich eine große Leinwand. Das Bild einer uralten Küche war auf der Leinwand zu sehen und leise Lacher wurden aus dem Publikum laut. Fast jeder der Anwesenden kannte diese Küche, denn Oma Emmi hatte schon fast jeden dort bewirtet. Nicht nur, dass sie eine resolute, alte Dame war, nein sie war auch aufopferungsvoll, fürsorglich und gastfreundlich. Doch am meisten liebten die Menschen sie für ihre Ehrlichkeit. Sie sagte immer was sie dachte und das mochte nicht jedem gefallen, doch so war sie nun einmal…
Leonie kam auf die Bühne und trug den Buchstaben U in der Hand.
„U wie Unsinn.“, sagte sie, als sie ihn an die entsprechende Stelle heftete, um danach gleich wieder von der Bühne abzugehen.
Nun kamen Vicky und Fred auf die Bühne.
Das Mädchen war zurechtgemacht wie Oma Emmi. Sie trug eine wuschelige graue Perücke, eine quietsche bunte Dederonschürze, eine dicke graue Strumpfhose und abgewetzte Schuhe. Dazu schlurfte sie, wie Oma Emmi, vor Fred auf die Bühne.
Der Junge trug zwei volle Einkaufsbeutel und trabte mit gesenktem Kopf hinterher.
„So ein Kasperletheater denkste dir doch im Leben nicht selber aus!“, Vicky ahmte den Tonfall von Oma Emmi so realistisch nach, das schallendes Gelächter im Publikum ausbrach. Nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, standen beide am Tisch, Fred hatte die Beutel abgestellt und Vicky schimpfte weiter. „Da gehen meine Enkel ein Jahr lang demonstrieren, schwänzen freitags die Schule und schwups, muss ich für meine Busfahrtkarte 20 Cent mehr bezahlen! Umweltzuschlag oder so ein Unsinn!“ Vicky begann die Beutel auszupacken.
„Oma Emmi, dass stimmt doch nicht. Wir haben keine Schule geschwänzt! Wir sind für die Umwelt auf die Straße gegangen, haben unsere Meinung damit gesagt.“, versuchte Fred zu erklären.
„Die 69iger Bewegung, die hat ihr Meinung gesagt. Peace and Love, das waren Demonstrationen. Dein Großvater und ich , was wir da getrieben haben…“, Vicky unterbrach sich kurz. „Natürlich ist eine Kundgebung gut, vor allem wenn man einen guten Grund hat. Doch bei euch ist es doch selbstverschuldetes Elend!“
„Deine Generation hat unsere Umwelt doch zerstört!“, rief Fred nun. „Schau mal, deine dreißig Jahre alte Waschmaschine, wieviel Strom die frisst oder die Abgase von den ganzen alten Autos…“
Vicky hörte auf die Beutel auszupacken. Dann drehte sie sich zu Fred und piekste ihn mit dem Finger in die Brust, während sie resolut antwortete.
„Meine Waschmaschine ist dreißig Jahre alt, ja. Aber was ist umweltfreundlicher? Seit dreißig Jahren mit derselben Maschine zu waschen oder aller fünf Jahre ein neues Modell zu kaufen, weil ich ein bisschen weniger Strom verbrauche? Wenn ich das nämlich machen würde, dann ständen jetzt fünf Waschmaschinen auf dem Müll und das soll der Umwelt nicht schaden?“
Vicky hielt kurz inne, ließ ihre Hand sinken und sprach dann weiter. „Und welches Auto meinst du? Dein Großvater hat mich immer mit seinem Fahrrad mitgenommen, quer auf dem Lenker habe ich gesessen. Und wenn die Strecke nicht so lang war, sind wir gelaufen. Manchmal fuhren wir auch mit dem Omnibus, aber das war dann schon ein richtiger Tagesausflug! Ich brauchte kein Auto um irgendwo hinzukommen, ich hatte gesunde Beine. Ich wurde nicht zur Schule um die Ecke chauffiert und meine Schule war im Nachbarort, zehn Kilometer entfernt!“
Das Mädchen packte nun weiter ihre Einkäufe aus.
„Aber das ganze Plaste, was ihr benutzt habt!“, begehrte Fred auf. „Beutel und Flaschen und so.“
Vicky nahm den in der Zwischenzeit geleerten Einkaufsbeutel und warf ihn Fred ins Gesicht.
„Ist das Plaste?“, fragte sie aufgebracht. „Der Beutel ist so alt wie dein Vater und den benutzte ich auch schon solange. Ich verwende Stoffbeutel schon Zeit meines Lebens! Meine Milch bekam ich in Glasflaschen, die ich ausgewaschen und in die Kaufhalle zurückgebracht habe! So ein Unsinn. Wir haben Lebensmittel noch in Zeitungspapier eingeschlagen bekommen und das haben wir dann gesammelt und in die Altstoffsammlung gebracht.“
„Ja, aber wo kommt denn dann das Ganze Zeug her, was die Umwelt verpestet, wenn nicht von euch?“, fragte Fred nun etwas kleinlaut.
„Mh, wirst du zur Schule gefahren?“, wollte Vicky wissen.
„Ja, Papa fährt mich, bevor er in die Großstadt zur Arbeit fährt.“, gestand der Junge.
„Mh, das ist der Fluch eurer Generation, die Arbeit meist 50 Kilometer und weiter weg und keinen ordentlichen Nahverkehr mehr.“, sagt Vicky und fragte dann jedoch unerbittlich weiter. „Bekommst du immer Plastebeutel, wenn du einkaufen gehst oder nimmst du einen Stoffbeutel?“
„Niemand nimmt Beutel mit, wenn man welche bekommt…“, versuchte Fred zu erklären.
„Und wie viele Handys hattest du schon?“
„Sechs oder sieben, weiß ich nicht genau…“, grübelte der Junge.
„Und da erzählst du über meine Generation solch einen Unsinn.“, nach diesen Worten von Vicky wurde die Bühne wieder dunkel.

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