Es dauerte zwei, drei Minuten, bis der Vorhang wieder aufging.
Leonie kam wieder auf die Bühne, diesmal trug sie den Buchstaben M.
„M wie Menschliches.“, sagte sie und machte den Buchstaben an der Buchstabenleinwand fest. Danach ging sie zu den Sesseln, nahm Piotr hoch und setzte sich, mit dem Hund auf dem Schoß.
Das Publikum benötigte einige Augenblicke, um zu verstehen, dass diesmal nicht Vicky in ihrer Verkleidung auf dem anderen Sessel saß, sondern tatsächlich Oma Emmi. Und sie las, wie zuvor Vicky, in der Zeitung.
„Hast du das von diesem kleinen Prinzen gehört? Harald oder Harry oder so? Alkohol und Drogen hat er als Jugendlicher genommen.“, begann Oma Emmi, immer noch in der Zeitung lesend. „Na was haben die denn erwartet, dem seine Mutter ist gestorben, da war der Kleine 12 Jahre. Und dann hat man ihn nicht nur gezwungen hinter dem Sarg seiner toten Mutter herzulaufen, nein die Paparazzi haben ihn auch noch fast genauso gejagt, wie seine Mutter. Da ist es erstaunlich, dass es nur bei ein bisschen Alkohol und ein paar Drogen blieb. Manch gestandener Mann wäre daran zerbrochen!“
„Aber er hat eine Vorbildfunktion als Prinz, ich finde das echt verwerflich.“, antwortete Leonie.
Oma Emmi senkte ihre Zeitung und schaute Leonie prüfend an.
„Mh, zeig mir den, der noch nie einen über den Durst getrunken hat. Also bei deinen Eltern zum Beispiel, als die Jugendliche waren, da könnte ich dir mehr als eine Geschichte erzählen…“, meinte Oma Emmi trocken. „Und sie haben eigentlich auch eine Vorbildfunktion, nämlich die als deine Eltern…“
Leonie überlegte kurz. „Ja, aber er ist schon immer ein Prinz!“, antwortete das Mädchen schließlich.
„Aber er ist auch ein Mensch. Ein Mensch, der zufällig in ein Königshaus geboren wurde. Das hat der Junge sich nicht selbst ausgesucht.“, entgegnete Oma Emmi, danach hob sie ihre Zeitung um weiterzulesen. Wenige Augenblicke sprach sie weiter. „Die alte Pinkelaffäre vom deutschen Prinzen haben sie auch wieder rausgeholt!“
„Oma Emmi!“, rief Leonie pikiert. „Also ehrlich, so was macht man ja auch nicht in der Öffentlichkeit!“
Die alte Dame schnaubte kurz, bevor sie antwortete: „Zeig mir den Kerl, ob jung oder alt, der noch nie dahin gepinkelt hat, wo es verboten ist. Die müssen mal, schnappen sich ihr Teil und Schwups erledigt! Das ist doch total menschlich und nur weil wir Frauen das nicht können, müssen wir uns nicht darüber echauffieren. Oder hast du dich noch nie hinter einen Busch gehockt, als es ganz dringend war?“
Das Publikum lachte los.
„Aber das hier ist neu!“, fuhr Oma Emmi fort. „Beim Sex im Freien erwischt! Obwohl das auf den Bildern eher nur nach Fummeln, als nach Sex aussieht…“
„Oma Emmi!“, rief Leonie diesmal schockiert.
„Also Kindchen, du bist dafür noch zu jung, aber frag doch mal die Eltern- und Großelterngeneration, was wir gemacht haben, als wir frisch verliebt waren…“, Oma Emmi grinste das Mädchen frech an. „Ich finde das hier schlimm!“, die alte Dame zeigte Leonie die vermeintlichen Bilder in der Zeitung. „Da wollten zwei ungestört sein und irgendein Möchtegern-Journalist hat derweil mit einem Teleobjektiv in den Büschen gehockt, nur um die zwei abzulichten. Und wir, wir lesen diesen Schund auch noch und finanzieren diesen Perversling damit!“
„Aber, Oma Emmi, das ist sein Job!“
„Andere bei so etwas Menschlichem wie Sex zu fotografieren und die Bilder dann an den Meistbietenden zu verkaufen ist ein Job? Ich nenne das pervers! Diese Menschen sind prominent und haben sich dafür entschieden in der Öffentlichkeit zu stehen, doch sollte es Grenzen geben. Und ernsthaft, was interessiert mich, ob der Hund des Bruders der Mutter des Promis Quer- oder Längsstreifen hat! Hauptsache, das Tier wird ordentlich behandelt!“
„Du liest doch aber auch gern die Klatschzeitungen, Oma Emmi. Ich kaufe sie ja schließlich jede Woche für dich…“, entgegnete Leonie.
Die alte Dame seufzte und antwortete: „Ja, auch ich bin nur ein Mensch.“
Und das Bühnenlicht erlosch.
2 Gedanken zu „25 – M wie Menschlich“
gut gelungen, kurzweilig, brachte mich zum Schmunzeln…schöne Urlaubslektüre
Das freut mich. Hoffentlich kann ich auch weiterhin damit dienen.