Vorgaben:
- von Ines
- Stolpersteine / Gedenksteine für Gefallene des I. Weltkrieges
- noch lebende Angehörige
Als ich in das Gesicht meiner Enkelin Fredericke sah, musste ich schmunzeln.
Genauso hatte ich als kleines Kind ausgesehen, wenn mein Großvater unser Familienritual mit mir „durchführte“.
Kinder liebten Geschichte und Geschichten, aber diese war so unendlich grausam, wunderschön und traurig, dass ich die Gefühle meiner Enkelin sehr gut nachvollziehen konnte.
Mein Großvater hatte mit mir diese Tradition begonnen und ich hoffte, meine Nachfahren würden sie beibehalten, denn wir durften alles, nur nicht vergessen!
Karl Friedrich, der jüngere der beiden Söhne, war ein gut gelaunter Optimist, dessen Leben in seinen ersten Jahren aus Übermut und leichtem Ungehorsam bestand.
Der Vater meinte, er solle den Ernst des Lebens kennenlernen und dies ginge nur in dem Karl Friedrich sich als Soldat verdinge.
Das Gefasel von der Offizierslaufbahn und Heldentaten, wenn mal Krieg wäre, brach der Mutter das Herz. Weinend erbat die arme Frau Gnade.
Eduard, der älteste Sohn, würde niemals zulassen, dass Karl Friedrich ein Leid geschah. Also trat Eduard ebenfalls ins deutsche Heer ein und tat seinen Dienst im selben Bataillon wie sein Bruder.
Und so geschah es Jahre später, dass Karl Friedrich und Eduard in einen Krieg zogen, welchen man später den I. Weltkrieg nennen würde. Karl Friedrich war mit heroischem Gesicht und stolz geschwellter Brust in den Krieg gezogen. „Zu Weihnachten werden wir wieder daheim sein!“ rief er seiner gramgebeugten Mutter zu, welche ihre beiden Söhne ziehen lassen musste.
Karl Friedrichs wohlgemeinte Äußerung, dass das deutsche Heer schnell einen Sieg erringen würde, blieb jedoch nur ein Wunschtraum.
Aus einem geplanten Bewegungskrieg, mit einem schnellen Ende, wurde ein blutiger Stellungskrieg, der unzählige Opfer forderte.
Die Schützengräben der Westfront wurden das Zuhause der Brüder, welches nur wenig Schutz vor den täglichen Scharmützeln boten.
Karl Friedrich veränderte sich von Grund auf. Seine klaren, lebensfrohen Augen wurden trübe. Sein strahlendes Lächeln erlosch und ein grimmiger Zug grub tiefe Falten um seinen Mund. Sein Gemüt wurde stumpfsinnig.
Eduard, selbst gezeichnet von den Qualen und Entbehrungen des Krieges, versuchte seinem kleinen Bruder eine Stütze zu sein und half, wo es ihm möglich war.
Die Wochen und Monate gingen ins Land und der Winter im Jahre 1914 des Herren hielt Einzug.
Später würde Eduard aus dem Krieg von nur von diesem einen Tag berichten, der noch heute Menschen auf der ganzen Welt bewegte.
Es waren die letzten Minuten des 23. Dezember 1914, als Karl Friedrich wie von Sinnen auf den Rand des Schützengrabens sprang und laut schreiend mit seinem Gewehr in Richtung der feindlichen Linien rannte.
Eine Salve streckte den jungen Mann nieder.
Die Kameraden von Eduard konnten ihn nur kurz aufhalten, bis er im Glockenklang der nahegelegenen Kirchturmuhr zu seinem Bruder rannte.
Später wusste keiner der gegnerischen Soldaten mehr zu sagen, warum sie nicht schossen. Vielleicht war es das Kirchengeläut zu Mitternacht, vielleicht der Schmerz in der Stimme des Deutschen, welche erklang, als er zu seinem Bruder lief.
Eduard nahm den leblosen Körper seines Bruders in die Arme und wiegte ihn behutsam. Sanft strich er über das verhärmte Gesicht Karl Friedrichs, welches im Tode seltsam friedlich aussah.
„Stille Nacht,“, begann Eduard stockend zu singen. „heilige Nacht.“
Karl Friedrich liebte Weihnachten und noch mehr liebte er es mit seinem Bruder die Lieder zu singen, welche diesen Tag zu einem einzigartigen Fest machten.
Eduard sang weiter, immer weiter. Ihm war, als würde Karl Friedrichs Seele nur so den Weg zu den Himmelspforten finden.
Aus eisigen Schützengräben, umringt von blutgetränkten Feldern, erklangen nun die Stimmen der anderen Soldaten.
Für einen Tag legten die Soldaten an der Westfront ihre Waffen nieder, ganz so als wäre die Menschlichkeit von Jesus Christus selbst zurückgebracht worden.
„Mein Großvater Eduard ging mit mir am 24. Dezember immer auf den Friedhof zum Grab seines Bruders und wir sangen Karl Friedrich Weihnachtslieder vor.“, erklärte ich meiner Enkelin.
Dann erzählte ich ihr die Geschichte vom Weihnachtsfrieden 1914. Vielleicht hatte mein eigener Großvater ihn einst ausgelöst, vielleicht war er nur einer von vielen. Doch wichtig war in unserer Familie das Erinnern. Wir erinnerten uns, an die Sinnlosigkeit des Krieges, wir erinnerten uns, an die, die für uns kämpften und ihr Leben ließen, wir erinnerten uns, niemals unsere Menschlichkeit zu verlieren.
„Die Gräber von Großonkel Karl Friedrich und deinem Ururgroßvater Eduard gibt es seit vielen Jahren nicht mehr. Und als die Stadt das Projekt vorstellte, auch Gedenksteine für die gefallenen Soldaten des ersten Weltkrieges im Stadtgebiet anzubringen,“, erklärte ich meiner Enkelin weiter. „da war ich glücklich. So konnte ich die zwei wieder ehren und besuchen.“
„Und deswegen singen wir hier an diesen Steinen Weihnachtslieder?“, wollte meine neunmalkluge Fredericke wissen.
„Genau deswegen.“, antwortete ich.
Fredericke überlegte kurz und sagte: „Okay, ist ja immerhin Weihnachten.“
Anmerkung:
Tatsächlich handelt es sich bei den hier benannten Gedenksteinen um eine Abwandlung des Stolpersteinprojektes des Kölner Künstler Gunter Demnig zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus. Bis heute hat er bereits mehr als 75.000 Gedenksteine in Europa verlegt.
Ein Gedanke zu „Weihnachten“
eine Herausforderung mit den Vorgaben so eine schöne Geschichte – Daumen hoch