Catherine – Sherlys drittes Abenteuer

Ja, Miles Eltern, Lord und Lady Saundersburgh, wussten, wie man einen Ball ausrichtete. Und da es sich um den Verlobungsball ihres einzigen Sohnes handelte, war alles sogar noch üppiger und prunkvoller als sonst.
Sie, Lady Sherly, würde ihrem besten Freund das Liebesglück gegönnt haben, wenn es sich bei der Braut nicht um Lady Catherine Pimberbrooke gehandelt hätte.
Lady Holmes war nur zu dieser Farce von Verlobung erschienen, weil sie hoffte, dass Lord Miles die Augen geöffnet wurden, ob der Unarten seiner Braut.
Lady Sherly ließ ihren Blick über den Ballsaal schweifen und gewahrte schnell den Grund ihrer Verstimmtheit.
Lady Catherine geruhte mitten im Saal Hof zu halten, eingerahmt von unbedarften Jünglingen, verwöhnten Kreatins und Speichelleckern des Hofes.
Die Robe, welche Lady Pimberbrooke trug, war einer jungen Braut völlig unziemlich. Der Seidenstoff leuchtete in einem strahlenden Rot. Der Schnitt des Kleides galt selbst bei verheirateten Damen als gewagt und anzüglich.
Ein wenig abseits des Treibens stand die Cousine der Braut, Lady Gretchen.
Ja, diese wäre was für ihren Miles. Nicht nur dass sie über ein sanftes und intelligentes Wesen verfügte, sondern musste Lady Gretchen nicht auf strahlende Schönheit und perlendes Lache setzen, wie Lady Catherine. Nein, Lady Gretchen war eher von ätherischer Eleganz und erst beim genauen Betrachten offenbarten sich ihre Vorzüge.
Als Lady Sherly letzte Woche die Damen beim Ausreiten im Hyde Park traf, war ihr Lady Gretchens leuchtender Blick und ihre reine, zarte Haut aufgefallen. Auch die jetzt lieblos geschminkten Lippen hatten mehr Reiz in ihrer Naturfarbe und wirkten ohne Schminke sogar voller. Man könnte fast meinen, jemand hätte sie absichtlich so scheußlich bemalt…
„Ach, da bist du ja, Sherly!“, Lady Eugenia Holmes steuerte in einer ausladenden grünen Samtrobe auf ihre Tochter zu, in welcher sie unsäglich kränklich wirkte. Aber vermutlich wollte die ältere Lady Holmes auch genau diesen Eindruck erwecken. Immerhin war das Trauerjahr um ihren Sohn Mycroft gerade erst vergangen.
„Mir ist nicht wohl, lass uns gehen.“, forderte die Mutter Lady Sherly auf.
Die jüngere Lady Holmes hatte keine Lust mehr zu bleiben. Das Treiben der Braut erregte ihr Gemüt über alle Maßen. Selbstdarstellerisch, eitel und …
„Komm jetzt, Kind!“, Lady Eugenia Holmes wurde ungeduldig.
„Madame, das ist die Verlobung meines besten Freundes! Ihr könnt nicht erwarten, dass…“, hob Lady Sherly gewohnheitsmäßig mit einem Protest an.
„Doch das kann sie, zumal sie Euch beim Bräutigam bereits entschuldigt hat.“, fiel Lord Miles ihr ins Wort.
‚Er ist unbemerkt herangetreten, wie unaufmerksam von mir.‘, schalt sich Lady Sherly.
Lord Miles legte Lady Sherly beruhigend seine Hand auf den rechten Arm, lächelte sie an und verabschiedete sich mit formvollendeten Worten und dem Versprechen, am kommenden Freitag gemeinsam miteinander auszureiten.
So gab Miss Holmes klein bei und verließ aufatmend mit ihrer Mutter die Gesellschaft.
Irgendwie musste sie Lord Miles überzeugen, dass Lady Gretchen die bessere Wahl für ihn wäre…


Lady Catherine ritt normalerweise mit einer riesigen Entourage aus, doch diesmal begleiteten sie persönlich nur Lady Gretchen und ihre Zofe.
Lord Miles und Lady Sherly trieben wie immer ihre Pferde erst zu einem strengen Galopp an, um im doch etwas ungerechten Zweikampf zu klären, dass Lord Miles die Limonade bezahlen würde. Denn nicht nur das Lady Sherly über den besseren Hengst verfügte, dank ihrer regelmäßigen Besuche auf dem Holmeschen Landgut war die nun mehr fast 28jährige stets im Training, was Galopp und Springreiten anging.
Nach ihrem Wettreiten fielen die beiden Freunde dann in einen geruhsamen Trab und berichteten stets von den Geschehnissen der Woche. Am Limonadenstand würden sie wie immer auf Lady Catherine und ihr Gefolge warten, denn diese geruhte mit ihren Pferden nur gemächlich eine Runde zu drehen. Oftmals nutzte die verwöhnte junge Braut auch eine Kutsche, eigentlich, wenn Lady Sherly es sich recht überlegte, fast immer. Sie hatte Lady Catherine erst zweimal selbst reiten sehen.
Doch warum sich den Kopf über diese unbeliebte Person zerbrechen, wenn sie Zeit mit dem Bruder ihres Herzens verbringen konnte.
So berichtete sie ihm, dass Sherlock wieder einmal in der Welt rätselhafte Dinge vor nebelhaften Bedrohungen schützte und damit Dr. Watson Lady Sherly zur Seite stand. Sollte sie doch auf das Geheiß des älteren Bruders…
Ein lauter weiblicher Schrei unterbrach Lady Sherlys Monolog, gefolgt von zwei, drei weiteren.
Diese kamen von einem weit hinter ihnen gelegenen Platz, der aufgrund mehrerer eng zusammenstehender Bäume und Sträucher schwer einsehbar war.
Lord Miles und Lady Sherly wendeten ihre Pferde sofort und verlangten von ihren Tieren alles ab, um an den Ort des Geschehens zu gelangen.
Ein grausiges Bild bot sich den beiden letztlich.
Lady Catherines Zofe Agnes lag mit seltsam abgebogenem Kopf unter dem Leib ihres Pferdes. Lady Gretchen versuchte alles um das Tier herunterzuschieben, verleugnend, dass es für die Zofe bereits zu spät war.
Lord Miles sprang bereits von seinem Schimmel, noch bevor dieser zum Stehen gekommen war und zog Lady Gretchen vorsichtig weg.
„Da war eine Ringelnatter, so riesig!“, stammelte die verstörte Lady. „Die Pferde scheuten… Sie war zwei Meter groß… Agnes fiel herunter und irgendetwas muss sie sich gebrochen haben… Ich wusste nicht, dass Ringelnattern so groß werden… Das Knacken war so laut, das muss weh tun… Mein Pferd warf mich ab, aber ich bin in dem Strauch da gelandet… Das war richtig weich… Oh, Mutter wird wegen des beschmutzten Kleides schimpfen…“.
Lady Sherly untersuchte derweil die Zofe genauer.
Ja, Agnes hatte sich etwas gebrochen, aber leider war es das Genick. Agnes war tot.
„Ein dunkel gekleideter Mann hob Catherine auf sein Pferd… Ich muss Agnes helfen… Ihr Pferd stieg als erstes hoch… Wieso hat sie nicht gekämpft…?“, mit diesen Worten sank Lady Gretchen dann endlich in eine wohlverdiente Ohnmacht.
„Was für eine tapfere Lady du doch bist, Gretchen!“, sanft legte Lord Miles die Bewusstlose auf den Boden, nachdem Lady Sherly ein provisorisches Lager aus den Pferdedecken gebaut hatte.
‚Das ist interessant!‘, schoss es Lady Sherly durch den Kopf, als sie sah, wie liebevoll ihr bester Freund mit Lady Gretchen umging.
„Saundersburgh, nehmen Sie die Finger von meiner Schwester, wenn Ihnen diese lieb sind,“, knurrte eine leise beunruhigend männliche Stimme. „und suchen Sie gefälligst nach Ihrer Braut!“
„Meiner Braut?“, fragte Lord Miles konsterniert, widerwillig sich vom provisorischen Lager Lady Gretchens erhebend.
„Ihrer Braut, Lady Catherine.“, graue Augen, grau und düster wie die Herbststürme an Englands Küste, bohrten sich in Lord Miles braune, sanfte.
„Lord Gadwington , ich bin Lady Sherly Elizabeth Constanze Holmes.”, versuchte Lady Sherly den hünenhaften schwarzhaarigen Lord von ihrem besten Freund abzulenken und streckte ihm die Hand entgegen.
„Ich weiß sehr wohl, wer Ihr seid, Lady Unruhestifter!“, die dargebotene Hand ignorierend, eilte Sir Anthony an die Seite seiner Schwester. Mit schnellen, wissenden Handgriffen strich er über die Glieder der immer noch bewusstlosen Lady. Als er seine Untersuchung zufriedenstellend beendet hatte, begehrte er in herablassendem Ton um Aufklärung über die Geschehnisse.
Lady Sherly war ja einiges gewohnt. Als alleinstehende, ob ihres Alters nun mehr alte, Jungfer von Stand erlebte sie regelmäßig Missgunst und Bosheit, aber dieser gut aussehende Lord übertraf alles.
Lord Anthony Gadwington war nach seiner Militärzeit zu Scotland Yard gewechselt.
Lady Sherly kannte niemanden von hohem Rang, der jemals so etwas getan hätte. Doch die langsam ergrauenden Schläfen des Lords zeugten auch von seiner traurigen Geschichte, dem Grund seiner Polizeilaufbahn. Nun mehr gehörte er zu den hochrangigsten Beamten des Yards, was aber sein Leid niemals lindern würde. Ein bisschen Unhöflichkeit würde sie dem Mann durchgehen lassen, immerhin hatte er so viel verloren.
Bemüßigt sich nicht in dunklen Erinnerungen zu verlieren, schilderte Lady Sherly mit knappen Sätzen, was Lord Miles und sie erlebt und was Lady Gretchen vor ihrer Ohnmacht ausgesagt hatte.
„Was hat sie ausgelassen?“, wollte Lord Gadwington nun von Lord Miles wissen.
Der Angesprochene und Lady Sherly schnappten, ob dieser Anmaßung, nach Luft.
„Sie wissen wohl nicht mit wem Sie es zu tun haben?“, versuchte Lord Miles seine beste Freundin zu verteidigen.
Lord Anthony rollte genervt die Augen. Er richtete sich zu voller Größe auf, was seine imposante Gestalt erst richtig zu Tage förderte, und heftete erneut seinen Blick auf Lord Miles.
„Ich wiederhole mich ungern. Ich weiß sehr wohl, wer sie ist. Unruhestifter und Störenfried, schlimmer als ihr Bruder Sherlock, strapaziert sie die Nerven meiner Beamten des Yards. Und dank ihr haben wir jetzt als Nachfolger Moriartys eine Josephine des Verbrechens am Hals!“, damit wandte er nun den Kopf zu Lady Sherly. Seine Augen hatten jetzt eine strahlend blaue Färbung. Sie schienen voller belustigter Lichter zu strahlen. „Ich pflege immer alle Zeugen zu befragen, auch wenn einem Holmes fast nichts entgeht.“
Nach dieser letzten, für Lady Sherly beleidigenden Spitze, wandte sich Lord Gadwington der Leiche der Zofe Agnes zu und untersuchte diese.
Selbstverständlich kannte er die Leistungen von Lady Holmes. Er höchstpersönlich hatte ein Geheimdossier in Auftrag gegeben, nachdem Sherlock Holmes beim Yard vorsprach, um von der neuen Bedrohung, in Form von Lady Josephine McMiller, zu berichten. So waren letztlich nur eine Handvoll der hochrangigsten Beamten über die wahren Umstände von Lord Mycrofts Tod informiert worden. Im darauffolgenden Jahr hatten sich einige Straftaten ereignet, welche Lady McMiller und ihren Handlangern zugeschrieben wurden. Die Geschwister Holmes hatten die eine oder andere davon aufklären können, doch Lady M., wie sich Josephine McMiller nun nannte, bekamen sie nicht fassen. Nicht zuletzt, weil Sherlock Holmes zwar die Ermittlungen stets gemeinsam mit seiner Schwester begann, sich dann jedoch immer nach Brighton zur „Erholung“ begeben musste.
Auch Lady Sherlys Ermittlungen im Mordfall Lady Forehand kannte Lord Anthony bis ins Detail. Dank Miss Holmes akribischer Recherchen war ein perfider Frauenhändlerring ausgehoben und vernichtet worden.
Doch kannte er, Lord Anthony, auch Lady Catherines Schilderungen über Miss Holmes Umgang mit ihrem angeblich besten Freund und Zukünftigen seiner Cousine. Nicht das er Lady Catherine auch nur bis zur Nasenspitze getraut hätte, doch die Körpersprache der beiden, von Lord Miles und Lady Sherly, sprachen von einer tiefen Verbundenheit.
In Lord Gadwingtons Augen handelte es sich bei Lady Holmes lediglich um einen schamlosen Blaustrumpf und genauso würde er ihr gegenübertreten!
„Nun Lord Miles, was hat sie ausgelassen?“, wiederholte Lord Anthony seine Frage.
Wutschnaubend wandte sich Lady Sherly ab und begann abermals die Umgebung einer tiefengründlichen Untersuchung zu unterziehen.
‚Das ist interessant!‘, schoss es Lord Miles durch den Kopf, bevor er Lord Gadwington antwortete.
Lady Sherly stellte fest, dass sie etwas für sie völlig untypisches tat. Sie schmollte!
Um diese eigenartige Gefühlsregung und die Frage nach dem Warum zu unterdrücken, suchte sie noch intensiver nach Hinweisen.
Ja, hier hatten die Pferde gescheut und dort war Agnes‘ Pferd ausgebrochen.
Lady Gretchen hatte wirklich Glück gehabt, dass sie in diesen Busch gestürzt war. Er besaß eng gewachsene Zweige und ein dichtes Laubwerk.
Eigentlich gab es hier fast nur solche Büsche. Vermutlich hatte man diesen Platz sogar deswegen ausgewählt, sie sollten Schutz bei einem eventuellen Sturz bieten. Immerhin wäre sonst eventuell die Ware beschädigt worden, ähm Lady Catherine…
Ja, hier war Lady Catherines Pferd zum Stehen gebracht worden. Ein äußerst erfahrener Reiter musste sie von ihrem Pferd gehoben haben, denn sein eigenes Pferd hatte nicht gescheut.
Dieser Verbrecher hatte alles bis ins Detail geplant.
Nicht nur der Entführungsort war schwer einsehbar, sondern auch der Fluchtweg.


„Was sagst du, Melissa? Gadwington ist ein herablassender Kreatin, der intelligente Frauen entweder nicht erkennt oder sich vor ihnen fürchtet… Ja, ich denke, er fürchtet sich vor ihnen…“, Lady Sherly musste ihren angestauten Frust los werden und schimpfte sich diesen seit gut einer halbe Stunde bei ihrer Lieblingszofe von der Seele.
Lady Gretchen war, immer noch bewusstlos, nach Hause gebracht worden, wo bereits ihr Hausarzt auf sie wartete. Lord Gadwington hatte die Ermittlungen übernommen und sie, Lady Sherly, ebenfalls nach Hause geschickt. Sie solle die Stadt nicht verlassen! Was für ein Unhold, so ein…
„Lady Sherly, verzeiht die Störung.“, unterbrach ihr Butler Jack ihre düsteren Gedanken. „Aber Lord Saundersburgh, Lord Pimberbrooke und Lord Gadwington bitten Sie, Ihnen Ihre Aufwartung machen zu dürfen.“
Jack gab lieber diese wohlfeil klingenden, für ihn völlig unüblichen, Worte von sich als den harschen Befehl von Lord Gadwington.
„So, wollen sie das?“, fragte Lady Sherly spitz zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte sie sich damenhaft aufführen und eine Migräne vortäuschen, doch dann obsiegte ihre Neugier.
‚Neugier ist der Katze Tod.‘, dachte sie, sich über sich selbst amüsierend.
„Das wird aber auch Zeit!“, herrschte Lord Pimberbrooke Lady Sherly an, sobald diese den Empfangssalon ihres Londoner Wohnhauses betrat.
Ihre Eltern hatten sie nach Mycrofts Tod gezwungen aus ihrer kleinen Wohnung hierher überzusiedeln. Durch das erheblich größere Wohndomizil wurde wesentlich mehr Dienstpersonal benötigt und ihre Eltern wähnten dies als eine Art von höherer Sicherheit. Die Alternative wäre zurück zu ihren Eltern ziehen gewesen und sie kamen auch für die Mehrkosten an Logis und Sold für die Bediensteten auf, also…
„Alistair!“, wies Lord Gadwington seinen Onkel zurecht. „Lady Holmes, auf ein Wort.“, galant bat er die Angesprochene sich zu ihnen zu setzen.
Lord Miles schien völlig aufgelöst und verunsichert. Ihm hing sein braunes, sonst stets sorgsam frisiertes, Haar wirr ins Gesicht. Seine Kleidung schien derangiert.
„Was ist mit Lady Catherine?“, begehrte Lady Sherly sogleich zu wissen, das Gespräch um die ganzen Höflichkeitsfloskeln kürzend, welche jetzt sonst gefolgt wären.
„Also doch! Was habt Ihr meiner Tochter angetan?“, Lord Pimberbrooke stürmte mit wutverzerrtem Gesicht und erhobenem Arm auf Lady Sherly zu. Dank der hervorragenden Ausbildung ihres älteren Bruders konnte Lady Sherly ihren Angreifer nicht nur abwehren, sondern ihn letztlich auch außer Gefecht setzen. Die Arme auf seinem Rücken fest nach oben drückend stand sie hinter dem konsternierten, wehrlosen Lord Pimberbrooke.
„Ihr seid Gast in meinem Haus!“, Lady Sherly erhob ihre Stimme nur ganz leicht, wohl wissend um deren Wirkung. „Benehmt Euch wie einer!“
Mit diesen Worten schubste sie den Lord in Richtung Chaiselongue.
„So wie Lord Miles aussieht, konnte nur etwas mit Lady Catherine geschehen sein.“, erklärte sie daraufhin Lord Gadwington, der sie mit einem rätselhaftem Blick musterte.
Sir Anthony Gadwington nickte daraufhin knapp, bevor er den Grund des Besuches erläuterte.
Eine Lösegeldforderung für Lady Catherine sei eingegangen, gezeichnet mit Lady M.. In dem Billett war sie, Lady Sherly, als Überbringerin des Geldes gefordert worden.
Selbstverständlich war Miss Holmes sofort bereit zu helfen, immerhin ging es um die Braut ihres besten Freundes.
Außerdem war ihre größte Sorge wahr geworden, Lady M. wollte sich nun über Lord Miles‘ Leid an ihr rächen. Nachdem der Tod Mycrofts sie nicht zerbrochen hatte, versuchte Josephine es jetzt also auf diesem Weg…


„Du hast das Lösegeld nun vor vier Tagen überbracht! Warum geben sie Lady Catherine dann nicht frei?“, Lord Miles lief nervös im Salon von Lady Gretchen auf und ab, während er Lady Sherly zum hundertsten Male mit Fragen löcherte.
In der vergangenen Woche hatte sich so vieles ereignet und verändert.
Die Sorge um Lady Catherine hatten Lady Sherly und Lady Gretchen zu Freundinnen werden lassen. Außerdem hatte Lady Sherly herausgefunden, dass nicht nur Lady Gretchen eine heimliche Schwäche für Lord Miles hatte, sondern auch er ihr zugetan war.
Der derangierte Auftritt Lord Miles‘ in ihrem Salon vor knapp einer Woche war fast ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass er sich mehr um das Wohlergehen von Lady Gretchen sorgte als um das von Lady Catherine. Er hatte die bewusstlose Lady Gretchen nach dem Reitunfall nach Hause begleitet und gewartet, bis der Hausarzt Entwarnung für ihren Zustand gab. Als er schließlich nach Hause kam, erwartete ihn bereits sein künftiger Schwiegervater und erst da war Lord Miles seine Braut und deren Verschwinden wieder eingefallen. Dafür schämte sich der junge Lord zutiefst, hatte er doch wirklich geglaubt Lady Catherine zu lieben. Jedoch erfuhr Lord Miles erst jetzt die tiefen Gefühle, welche man Liebe nannte und dies durch eine andere als seine Braut. Dieser sanften Lady war er von Herzen zugetan, aber es schien so hoffnungslos, denn seine Verlobte würde bald wieder zurückkehren und dann stand der Vermählung nichts im Wege.
„Lord Gadwington.“, kündigte Lady Gretchens Butler deren Bruder hoheitsvoll an.
Sogleich als er den Salon betrat, stürmte Lady Sherly auf Lord Anthony zu und begann mit ihm ein leises Gespräch, von welchem die beiden anderen Anwesenden kein Wort verstanden.
„Genauso hatte ich es gedacht!“, lachend wandte sich Lady Sherly zu Lord Miles. „Lieber Freund, du bist frei!“
Dann umarmte sie erst Lord Miles herzlich und danach Lady Gretchen.
„Jetzt könnt ihr beide zueinander stehen!“, rief Lady Sherly dabei freudig.
Verwirrt sahen Lady Gretchen und Lord Miles erst einander und dann Lady Sherly und Lord Anthony an.
„Möchten Sie es den beiden erklären, Lord Gadwington?“, schmunzelnd sprach Lady Sherly den finster dreinblickenden Lord Anthony an.
„Nein, meine liebe Lady Holmes, diese Lorbeeren überlasse ich Ihnen!“, antwortete Lord Gadwington, wohl wissend das dieser Blaustrumpf den Fall gelöst hatte, und setzte sich zu seiner Schwester.
„Gut. Beginnen wir mit der Tatsache, dass Lady Catherine lebt und es ihr gut geht.“
Lord Miles und Lady Gretchen atmeten sichtlich erleichtert auf. Doch dann kam ihnen in den Sinn, dass nun Lord Miles sein Eheversprechen einlösen musste.
Und ganz so, als könne Lady Sherly ihre Gedanken lesen, fügte diese hinten an: „Und nein, Miles, du musst sie nicht mehr heiraten. Du kannst sie sogar gar nicht mehr heiraten.“
„Weil sie bereits verheiratet ist!“, platzte Lord Gadwington heraus.
„Mussten Sie das jetzt schon aufklären, dass nimmt dem Ganzen die Pointe!“, schimpfte Lady Sherly direkt los.
„Wenn Sie Ihren „Freund“ foppen wollen, nur zu.“, Lord Anthony machte eine entsprechende Handbewegung bei dem Wort Freund. „Doch wagen Sie es ja nicht meine Schwester zu quälen!“
„Ich? Ihre Schwester quälen?“, echauffierte sich Lady Sherly. „Ich bin ihr von Herzen zugetan!“
Während die zwei sich noch weiter stritten, sank Lord Miles vor Lady Gretchen auf die Knie.
„Ich hatte nie zu hoffen gewagt…“, vorsichtig ergriff er Lady Gretchens Hände.
„Ich auch nicht!“, erwiderte die Angebetete. Die beiden versanken tief in ihrer eigenen Welt und bemerkten letztlich nicht, dass der Streit zwischen Lady Sherly und Lord Anthony endete.
„Ich sagte Ihnen bereits, nehmen Sie die Finger von meiner Schwester, wenn Ihnen diese lieb sind!“, knurrte ein überaus zorniger Lord Gadwington Lord Miles an.
Mit einer Festigkeit in der Stimme, welche Lady Sherly bei Lord Miles noch nie wahrgenommen hatte, antwortete er dem Bruder seiner hoffentlich zukünftigen Braut, dass er dies niemals wieder geruhe zu tun, sofern Lady Gretchen selbst dies nicht wünsche.
„Na endlich!“, mit diesem Ausruf verließ ein nunmehr sichtlich entspannterer Lord Anthony den Salon, um Lady Gretchens Butler zu beauftragen für Champagner zu sorgen. Immerhin galt es eine Verlobung zu feiern.
Später am Tag erklärte Lady Sherly den beiden Liebenden dann den Rest von Lady Catherines Geschichte.
Aufgrund der Lösegeldforderung waren alle davon ausgegangen, dass es sich um eine Tat von Josephine McMiller handelte. Auch Lady Sherly war zunächst diesem Glauben erlegen, hatte die Erzfeindin ihr doch Rache geschworen.
Tatsächlich war die Entführung von einem ganz anderen inszeniert worden, nämlich von Lady Catherine selbst.
Sie konnte das Jahr bis zur Eheschließung mit Lord Miles nicht abwarten, da sie aufgrund einer Liaison mit einem ihrer Verehrer ein Kind erwartete. Dieser war ein Colonel der Armee, was allerdings für Lord und Lady Pimberbrooke zu schäbig für die einzige Tochter war.
Aus irgendeinem Grund war Lady Catherine jedoch in den Colonel vernarrt. So wollten die beiden eigentlich die Entführung nutzen, um nach Gretna Green zu gelangen und dort unbemerkt zu heiraten. Da Lady Catherine aber Sorge hatte, dass ihre Eltern sie enterben würden, entwickelte sie den Plan mit der Lösegeldforderung, welche sie Josephine McMiller in die Schuhe schieben wollte.
Nachdem Lady Sherly das Lösegeld übergeben hatte, flohen die beiden nach Gretna Green, um zu heiraten. Dort fanden Lord Anthonys Beamte sie letztlich auch in den Flitterwochen. Frisch vermählt und noch glücklich miteinander.
Der Tod von Agnes war ein Unfall. Die vor der Schlange scheuenden Pferde waren zwar Teil des Fluchtplanes von Lady Catherine, aber dass die Zofe sich derart verletzte, hatte niemand gewollt.
„Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, dass es sich nicht um ein Plan von Lady M. handelte?“, fragte Lady Gretchen am Ende von Lady Sherlys Ausführungen schließlich.
„Als wir dich gefunden haben, hast du uns sehr viel vom Tathergang erzählt, an das du dich später nicht mehr erinnern konntest.“, Lady Sherly nahm ihr kleines Heftchen aus ihrem Retikül und las Teile aus Lady Gretchens erster Befragung vor.
Ein dunkel gekleideter Mann hob Lady Catherine auf sein Pferd.
Ich muss Agnes helfen.
Ihr Pferd stieg als erstes hoch.
Wieso hat sie nicht gekämpft?
„Erst dachte ich, dein Satz „Wieso hat sie nicht gekämpft“ bezog sich auf Agnes und ihr scheuendes Pferd, doch das ergab keinen Sinn. Man kämpft nicht mit einem scheuenden Pferd, man versucht es zu beruhigen. Du als passionierte Reiterin würdest auch so etwas niemals sagen, also was konntest du gemeint haben? Natürlich konntest du dich dabei nur auf Lady Catherine beziehen. Sie hatte nicht gegen ihren Entführer gekämpft, denn sie kannte ihn.“, endete Lady Sherly mit ihren Erklärungen.
Lord Miles trat an sie heran und legte ihr dankbar eine Hand auf den Arm.
„Gut, dass du eine echte Holmes bist!“

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