Cecilia Clothilde

Bitte nicht lachen, mein Name ist tatsächlich Cecilia Clothilde Hart.
Was sich meine Mutter dabei gedacht hat, weiß ich bis heute nicht. Aber das Leben kennt mitunter auch Gnade. So konnte ich als Kleinkind meinen Namen nicht aussprechen und sagte immer nur: „Ich heiße Seli“.
Dieses Kürzel blieb an mir kleben. Ab sofort nannte mich jeder so, selbst mein Ex-Mann, was natürlich wieder meine Mutter in Rage brachte…
Ups, ich schweife ab.
Also mein Name ist Cecilia Clothilde Hart, Spitz- und Rufname Seli. Ich bin 35 Jahre alt, geschieden und nicht wirklich mit Traummaßen ausgestattet.
Meine 1,74 Meter werden von nun mehr 90 Kilogramm umrahmt.
Und ich habe ein Problem.
Mein Leben.
Also, bevor ich wieder abschweife, werfe ich Sie einfach in meine Geschichte.
Doch wo soll ich nur anfangen?
Okay, ich versuche es mal am Anfang und erzähle es mit Worten und wenn möglich, in ganzen Sätzen.

An irgendeinem Sonntagabend

Wieder einmal sitze ich im Dunkeln und genieße die Musik, welche aus meiner Anlage dröhnt.
Uralte Schmuse-Klassiker. Jeden einzelnen kann ich auswendig, mit jedem Uh und Yeh, mit jeder Backgroundstimme.
Sehnsucht beginnt in mir hinauf zu klettern und ich schlinge meine Arme um die angewinkelten Knie.
`Toll, ein Heulabend!` schießt es mir durch den Kopf.
In diesem Moment geschehen zwei Dinge.
Im Haus gegenüber, in der vierten Etage, geht das Licht an und mein Telefon beginnt zu klingeln.
`Rettung, Rettung, Rettung!` ruft meine innere Stimme, als ich zum Hörer greife.
„Wie immer bist du mein Held!“, begrüße ich den Anrufer.
Warum sollte ich auf die Nummer schauen? Es konnte nur Magnus sein.
„Das nächste Mal werde ich erst anrufen und dann Licht anmachen!“ maulte mein bester Freund am anderen Ende.
„Ja, ja, wenn du nur nicht so blind im Dunkeln wärst!“ erwiderte ich lachend. „Aber in deinem hohen Alter…“
„Ich bin gerade mal 6 Monate älter, als du, kleine Göre!“ schoss Magnus zurück.
Und schon waren wir wieder in der schönsten verbalen Kabbelei.
Ein Ritual, ohne feste Zeit, ohne Zwang. Ich bekam regelrecht Entzugserscheinungen, wenn ich über einen längeren Zeitraum nichts von ihm hörte. Sicherlich, wozu hätte der liebe Gott sonst Freunde erfunden, aber sich von ihnen als kleine Göre beschimpfen zu lassen….
„Bitte? Was war das gerade, Äffchen?“ mehr brauchte ich gar nicht zu sagen.
Magnus hasste diesen Spitznamen und in dem ich ihn benutzte, brach ich alle seine Dämme. Als ich zwanzig Minuten später das Telefon beiseitelegte, war der Abend gerettet.
In einer halben Stunde würde ich mich mit Magnus treffen und wir würden uns ganz gepflegt die Kante geben.

Der Montag danach …

Mein Schädel brummte wie ein schlecht gelaunter Schwarzbär.
Ich hoffte, Magnus würde es nicht besser gehen. Immerhin hatte er mich zu diesem grässlichen Wodka mit Feige überredet. Abgerundet wurde das Ganze mit Rotweinschorle.
„Zum Runter spülen!“ hatte Magnus ganz ernsthaft gesagt.
Memo an mich selbst: Nie wieder!!!
Aber, es war ein herrlicher Abend gewesen. Der Muskelkater in meinem Bauch gab mir mehr als Recht. Nun ja, am Anfang hatten wir wieder Probleme gewälzt und uns hemmungslos im Selbstmitleid gesuhlt.
Er ist unglücklich verliebt, wovon niemand außer mir weiß und ich habe gerade eine nicht ganz einfache Scheidung hinter mich gebracht.
Irgendwann hat dann aber der Alkohol seine Wirkung gezeigt und eine spitze Bemerkung den Ausschlag gegeben. Wir begannen uns gegenseitig aufzuziehen und kamen, wie wir immer so schön zu sagen pflegen, vor Lachen nicht mehr in den Schlaf.
`Oh Mann, nein Frau, brummt mein Kopf!`
Magnus jungenhaftes Grinsen fiel mir ein, als er mir den Wodka mit Feige eingeschenkt hatte. „Ich hoffe, ehrlichen Herzens, dir geht es schlecht!“ lautete meine SMS, die ich gleich losschickte.
„Doch so schlimm?“ kam die prompte Antwort. „Aber keine Sorge, mir geht es auch nicht besser.“
Das laute Lachen, in welches ich ausbrach, endete abrupt mit einem heftigen Stich im Kopf und einen entnervten Stöhnen.
„Das wird uns beiden hoffentlich eine Lehre gewesen sein!“ schimpfte ich leise vor mich hin. Aber ich wusste, dass dies wohl ein frommer Wunsch bleiben würde.

Es folgten ereignislose Tage.

Allerdings gut, dass Magnus und ich über dasselbe Handynetz verfügen. Mittwochabend haben wir geschlagene 3 Stunden miteinander telefoniert.
Obwohl unser Rekord liegt bei 6 Stunden und ein paar zerquetschte, aber wer merkt sich so was schon …
Ansonsten ist bei mir ein bisschen Staatstrauer ausgebrochen. Magnus ist bis Sonntag verreist. Da er aber für den Heimweg 400 km würde zurücklegen müssen, wird er am Sonntagabend nur noch hundemüde ins Bett fallen. So werden wir uns wohl vor Montag nicht sehen. Vier ganze Tage! Verflixt, ich vermisse ihn jetzt schon.

Freitagabend

Magnus hatte sich für seine einsamen Hotelstunden am Abend einen Gedichtband mitgenommen.
Als er mich gegen zwanzig Uhr anrief, hatte er es sich gerade mit einer Rotweinschorle gemütlich gemacht. Ich weiß nicht mehr genau, wer darauf gekommen ist und wie, jedenfalls begann er vorzulesen.
„Samt, der sich auf meine Seele legt.“, wäre wohl die beste Beschreibung und auch die einzig zutreffende.
Für diese Stimme benötigte der Mann einen Waffenschein! Die Silben, die er aussprach, durchdrangen jede Zelle meines Körpers, um im Takt seines Timbres zu schwingen.
Stundenlang hielt ich verzaubert den Hörer meines Telefons fest und ließ ihn ein um das andere Wort rezitieren. Kurz vor Mitternacht entschied Magnus, den Abend nun mehr doch zu beenden, da er fünf Stunden später aufstehen musste, um zur Arbeit zu gehen.
Ich ließ ihn gewähren, denn wenn das ab jetzt Standardprogramm werden würde, könnte er ruhig öfter wegfahren.

Samstag, ohne ihn …

Ich war am Überlegen, ob ich diese SMS abschicken sollte.
Natürlich ärgere ich Magnus gern und ich hörte auch schon sein Gemecker, wenn er den Text lesen würde…
Aber am heutigen Tag widerstrebte es mir.
Ich würde fast jede Wette halten, dass ich, wenn ich diese SMS nicht schreibe, spätestens heute Mittag einen erbosten Anruf erhielte, warum ich nicht an unseren Jahrestag dachte.
Unser Jahrestag, wie das klingt! Doch so ist es nun mal, heute vor 17 Jahren habe ich Magnus kennen gelernt.
Diese Begegnung werde ich wohl nie vergessen.
Er kam in einem gelben Trabant mit schwarzem Dach angebraust, in welchem er mir später das Autofahren beibrachte.
Total wilde Haare, halb von einem Basekap verdeckt, schrille Klamotten und Zigarette im Mund.
Sein Lieblingsgetränk hieß damals Alkohol, wovon er die Spezies Bier bevorzugte.
Jedenfalls das erste Treffen.
Ein völlig irre scheinender Typ fuhr in seinem Auto vor, aus dem solch ohrenbetäubender Lärm drang, dass man Menschen mit Hörgeräten beneidete.
Der zweite Schock war die absolut unmöglich wirkende Kleiderordnung der anfänglichen 90er Jahre, welche mir Kleinstadtpomeranze den Glauben an meinen eigenen schlechten Farb- und Modegeschmack wieder zurück gab. Und als letzter, auf seine ursprüngliche Art und Weise wundervollste, Schock machte dieses Geschöpf dann auch noch den Mund auf und begann zu reden.
Die Worte habe ich vergessen, aber die Herzlichkeit einer unbekannten Freundin eines Freundes gegenüber, die völlige Vorurteilsfreiheit und die bedachten Aussagen, welche sowohl Intelligenz als auch Poesie offenbarten, brannten sich förmlich in mein Gedächtnis. Von der ersten Stunde an war ich diesem Mann verfallen und der schönste Augenblick, in meinem bisherigen Magnus-Leben, war der Tag, als er mich das erste Mal Freund nannte.
Wer glaubt, dass er schon sparsam mit der Preisgabe von Gefühlen ist, der sollte erst einmal versuchen, den Magnus – Freundschaftstest zu überstehen!
Ein paar Jahre später entwickelte sich unser Leben, wie man so schön sagt, auseinander. Aber wir vereinbarten einen Code, bei welchem der andere sofort Bescheid wissen würde. Eine Nachricht mit dem Wort: „Sonnendeck“.
Das nutzte ich dann, als meine Ehe begann, in die Brüche zu gehen und Magnus traf sich damals noch am gleichen Abend mit mir, als ich ihm unser Codewort sandte. Aber das ist eine andere Geschichte…
Schreibe ich nun diese Jahrestags – SMS?
Ach verdammt, soll er doch meckern!

Sonntag, ohne ihn…

Die erste Halbzeit war einfach nur Grotte, die zweite wenigstens nur schlecht.
Wovon ich rede?
Fußball natürlich. Von Magnus Lieblingsverein.
Ich kann ja schlecht über Dinge herziehen, wenn ich sie selbst noch nicht erlebt habe.
Jetzt habe ich es.
Das diese Hustensafttruppe überhaupt gewonnen hat, zeugt davon, dass der Fußballgott gerade Siesta hält oder ausgewandert ist.
So begannen die ersten 45 Minuten mit trägen Anlaufversuchen der Stürmer, welche im weiteren Spielverlauf nur noch von den schauspielerischen Höchstleistungen bei diversen Fallstudien getoppt wurden. Die kläglichen Versuche im Mittelfeld wurden mit Schmährufen der untersten Schublade von der Fangemeinschaft geahndet. Auch hatte dieser Verein von einer nennenswerten Abwehr wohl vor hundert Jahren mal etwas gelesen. Der Ball an sich galt als Staatsfeind Nr. 1 und so versuchte man, ihn immer im Besitz der gegnerischen Mannschaft zu belassen.
Doch nicht nur die unterirdischen Leistungen der elf Mannen ließen arg zu wünschen übrig. Die Bezeichnungen „Haubentaucher“ und „Blindniete“ waren die nettesten Begriffe, welche die Zuschauer für die Herren im schwarzen Dress finden konnten.
Aber schließlich fanden Hänsel und Gretel trotz fehlender Brotkrumen nach Hause und die Erlösung kam in der 89. Minute in Form des 1:0.
Das Schönste an diesem Nachmittag war die Besichtigung des Stadions. Eine phantastische Anlage, die selbstverständlich weit bessere Spiele verdient hätte. Doch auch die massive Erweiterung meines Wortschatzes im Wettern und Fluchen aufgrund des kolossalen Herumgegurkes war einen Besuch dieses Spieles wert gewesen.
Ob ich wieder hingehen würde?
Natürlich, damit ich wieder hemmungslos meckern kann und Magnus damit ärgern…

Montag, ohne ihn…

Mir schwirrt heute schon den ganzen Tag die erste Strophe eines Gedichts durch den Kopf, das mir Magnus am Freitagabend vorgelesen hat.

Der Wind treibt die Gedanken fort,
in einem Augenblick, den mancher Ewigkeit nennt.
Der Geist strandet an einem Ort,
den meist nur das Herz erkennt.

Keine Ahnung, warum ich mir gerade diese Zeilen gemerkt habe. Soweit ich mich entsinnen kann, war der Rest dieses Werkes gelinde gesagt scheußlich.
Apropos Magnus, er hat heute Abend keine Zeit, also den fünften Tag, an dem ich ihn nicht sehe.

Dienstagmorgen

Anklingeln! Gott, wie ich das hasse!
Klar bedeutet es, ich denke gerade an dich, aber für mich hat es so etwas entsetzlich Unpersönliches.
Selbstverständlich habe ich Magnus sofort zurück geklingelt, aber deswegen mag ich diesen Blödsinn trotzdem nicht. Wo ist das Problem, eine SMS zu schreiben?
Faultier Mann!
Irgendwann wird er schon noch begreifen, dass man auch in ein Handy hinein sprechen kann und nicht nur mal kurz klingeln lassen! Und das nach fast 5 Tagen ohne ihn, außer einem kurzen Telefonat …

Dienstagabend

Es geschehen noch Zeichen und Wunder!
Magnus hat die Telefonierfunktion des Handys wieder entdeckt.
Heute Abend will er kurz vorbei kommen.
Nur auf ein Glas Rotwein…

Mittwochmorgen

Wow! Wahnsinn! Gigantisch!
Magnus hatte keine Lust, einfach nur bei mir herumzusitzen. Also schnappte er sich mich und sein Auto und wir fuhren zum Flughafen.
Der Anblick bei Nacht war atemberaubend. Ich kann mich nicht entsinnen, je etwas Schöneres gesehen zu haben.
Im Licht des Vollmondes war der Parkplatz in ein diffuses Fahrzeugland verwandelt, welches von ständig aufblitzendem Scheinwerferglanz in ein weiß-gelbes Farbenspiel getaucht wurde. Landende Flugzeuge mutierten von der Größe eines Glühwürmchens zu riesigen Vögeln mit dämonisch leuchtenden Augen, welche die Rollbahn erhellten. Das Flughafengebäude hob sich mit scheinbar tausend flackernden Kerzen von dem dunkelblauen Samtvorhang des Himmels ab.
Nach einigen Minuten atemlosen Staunens gingen wir in die Abfertigungshalle. Dort begannen wir, die Leute am Check – In – Schalter zu beobachten.
Eine „etwas“ übergewichtige Dame mit ihrem nicht minder schweren Begleiter erregte unser beider Aufsehen. Sie, eingezwängt in ein weißes Top, welches von einem hervorblitzendem orangefarbenem BH „betont“ wurde und von einer grellgrünen Radlerhose vervollständigt, er, leger gekleidet, in einer kurzen beigefarbenen Hose, die fast von einem überdimensionalem Capri-Hemd verdeckt wurde.
Wir rätselten fast fünf Minuten, wie die beiden durch den Metalldetektor passen sollten und widmeten uns danach den anderen Passagieren.
Es war schon erstaunlich, wie viel man in die Kleidung, Gestalt und Bewegung eines Menschen hineindichten konnte…
„Willst du mit mir auf eine Zeitreise gehen?“ fragte mich Magnus und begann aufgrund meines verwirrten Gesichtsausdruckes zu lachen.
„Zeitreise?“ mehr bekam ich vor Staunen nicht heraus.
„Ja!“ rief er scherzend und zog mich in Richtung Flughafenbahnhof.
Auf dem Weg dorthin waren diverse Laufbänder installiert, mit welchen man bequem durch die riesige Schalterhalle promenieren konnte.
„Komm!“ sagte Magnus und hieß mich auf die Rollstege zu gehen. „Und jetzt lauf los, mit deiner normalen Schrittgeschwindigkeit!“
Ohne zu zögern folgte ich ihm und fand mich in einer Welt wieder, deren Umgebung in zweifacher Geschwindigkeit an mir vorbei flog, während mein Lebensrhythmus gleich blieb.
Eine Zeitreise halt.
Wahnsinn!

Mittwochnachmittag

Shopping mit Magnus. Ein Erlebnis himself!
Ich weiß, grässliche englische Sprache, aber nur so kann ich es halbwegs verständlich ausdrücken.
Es ist eine Sache, mit meiner Schwester oder meiner Mutter einkaufen zu gehen. Ich sage nur, Stunden an einem Kleiderständer!
Aber Magnus toppt alles!
Allein schon die Auswahl der diversen Geschäfte kommt einer Wissenschaft gleich.
Danach erfolgt eine akribische Auswahl der Verkäuferin, welche versucht wird, mit seinem umwerfenden Charme und einem leicht diabolischem Lächeln, aus den Schuhen zu hebeln. Als nächstes kommt die unendliche Geschichte der Überprüfung der vorgeschlagenen Bekleidungsgegenstände, um letzten Endes alles dankend abzulehnen und sich selbst auf die Suche durch die Regale zu begeben.
Jedenfalls durfte ich ihm heute beratend zur Seite stehen, als er seine „Beute“ anprobierte.
Das Ergebnis?
Umwerfend!
Als erstes versuchte er sich an einem langärmligen Hemd mit zartgrauen Längsstreifen. Über die rechte Seite erstreckte sich eine Stickerei aus weißen und ebenfalls zartgrauen sowie hellblauen Seidengarn. Das Ganze stellte einen Drachen dar.
Da wollte Klein – Seli doch gern mal eine Jungfrau spielen, um sich von so einem Biest vernaschen zu lassen ….
Als zweites fiel Magnus ein rosafarbenes T-Shirt ins Auge.
Rosa?
Für Männer?
Sorry, meine homosexuellen Freunde, aber rosa sieht bei Männern einfach nur schwul aus!
Obwohl….
Entgegen meinem Rat probierte der Herr das Teil an. Und wehe, jemand steckt es diesem Typen, dass Rosa wirklich seine Farbe ist!
Als letztes in diesem Geschäft schnappte Magnus sich ein glänzendes, mitternachtsblaues Hemd, dessen Farbe allein schon dem Wort „Sünde“ eine völlig neue Bedeutung gab.
Und dann zog er es an.
Ein Faustschlag in die Magengrube wäre wohl noch als freundschaftlich durchgegangen, aber das…
Über die Ein- bzw. Ausblicke im Jeansladen erzähle ich jetzt lieber nicht. Denn auch Frau kann Genießen und Schweigen!
Eines muss ich dem Mann aber zu Gute halten. Er weiß genau, was er sucht und verfügt heute über einen wirklich guten Mode- und Farbgeschmack. Welcher sich natürlich seit unserer ersten Begegnung erheblich verbessert hat, aber da geht es dem Manne, wie der ehemaligen Kleinstadtpomeranze.
Nachdem wir mit einer, für Magnus relativ hohe Ausbeute, 2 T-Shirts, noch einen Kaffee trinken gegangen waren, liefen wir zum Auto zurück.
Er hatte seinen PKW auf dem oberen Parkdeck abgestellt. Und ich sollte auch sogleich erfahren, warum.
Die Abfahrt war ein Rondell und er zeigte mir sehr deutlich, wie gut er sein Auto beherrschte.
Achterbahn fahren trifft es wohl am ehesten.
Gott, habe ich gejauchzt vor Vergnügen.
Allein schon dafür gehe ich jederzeit wieder mit ihm shoppen.

Mittwochabend, bei ihm

Magnus fragte mich gerade, was ich unter dem Begriff „Glück“ verstehe.
Am liebsten hätte ich gesagt: Dich glücklich zu sehen.
Es tut so weh, ihn leiden zu sehen und keine seiner Lasten von ihm nehmen zu können.
Als ich ihn in den Arm nahm, glaubte ich, ihm Trost spenden zu können.
Witziger weise sprang er auf und wollte den Abend beenden. Natürlich habe ich mein Glas ausgetrunken und bin nach Hause gegangen.
Doch was ist Glück für mich?
Die schweren Dinge des Lebens nicht allein ertragen zu müssen.
Lachen und Weinen zu können und einen Menschen zu haben, der dies mit dir tut.
Wärme zu spüren, wenn mir kalt ist.
Tränen zu trocknen, nachdem sie geflossen sind und jemanden zu haben, der im E-Fall mir ein Taschentuch gibt.
Leben zu können nach meiner Fasson und zu wissen, dass zu Hause jemand auf mich wartet, den mein Alltag interessiert.
Freunde zu treffen und für sie da zu sein.
Die kleinen Dinge des Lebens zu sehen und mich daran zu erfreuen.
Menschen, die ich liebe oder mag, lachen zu sehen, glücklich in ihren eigenen Begriffen.
Das Gefühl zu haben, etwas wert zu sein, für jemanden wichtig zu sein und ein kleinwenig unersetzbar.
Helfen zu können mit Wort, Tat oder einer Berührung.
Und vor allem Magnus in meiner Nähe zu haben.
Vorhin telefonierte er mit seiner heimlichen Liebe.
Diese Gefühle in seiner Stimme trieben mir die Tränen in die Augen.
Ich wünschte, ich könnte seine Seele heilen.

Sonntagabend

Ich verstehe die Welt nicht mehr. Nachdem ich, seit Mittwoch, nichts mehr von Magnus gehört hatte, habe ich mir gerade eben erlaubt, eine SMS zu schreiben, warum er sich nicht bei mir meldet.
Kam doch als Antwort ein beleidigtes: „Hast du ja auch nicht getan!“
Dabei hatten wir uns ausgemacht, dass er sich als Erster meldet, wenn er Zeit hat. Schließlich müsse er arbeiten und hasst es dabei gestört zu werden.
Was ist denn mit dem grad mal wieder nicht in Ordnung?

Sonntagnacht / Montagmorgen

Träume sind schon etwas Eigenartiges.
So wurde ich in eine Zeit zurück geworfen, in der Magnus und ich eine vierwöchige „Sendepause“ hatten. Wir hatten uns gestritten, über eine Nichtigkeit. Irgendeine Belanglosigkeit schaffte es, dass wir weder miteinander telefonierten, noch uns trafen. Ich wurde immer frustrierter, denn keiner von uns beiden wollte so recht nachgeben.
Irgendwann schrieb ich dann in meiner Wut eine ziemlich unfaire SMS.
Magnus reagierte wie immer, völlig anders, als von ihm erwartet. Er antwortete, dass er die SMS bekommen hätte, aber doch gar nicht wüsste, wovon ich rede, denn es wäre ja alles in bester Ordnung zwischen uns. Danach war wieder Funkstille.
Zwei Tage später bekam ich erneut eine SMS. In ihr stand einfach nur: „Hab einen schönen Tag“. Von da an war wirklich wieder alles in bester Ordnung.
Als nächstes flackerten Szenen aus meiner Ehe, wie ein alter Stummfilm, durch meinen Kopf.
Unser Kennenlernen in meiner Stammkneipe bei Ulrich.
Er ganz in Leder, lange Haare, ein Glas Bier vor sich und mich mit undurchdringlichen Blicken musternd.
Ich, in einem luftigen Sommerkleid, noch rank und schlank.
Das erste Ausgehen, der erste Kuss, die erste Nacht, die Hochzeit.
Dann folgten nur noch einzelne Bilder. Schlüsselmomente, welche das Ende unserer Ehe eingeläutet hatten.
Gott, wann kommt endlich der Abspann in diesem Streifen?
In diesem Moment wechselte der Traum wieder.
Ich war bei einem Straßenfest. Die Sprache, in der die anwesenden Menschen kommunizierten, erschien mir unverständlich. Nur einzelne Satzfetzen erkannte ich. Es war spanisch.
Alles lachte und tanzte, inklusive mir. Pure Lebensfreude hallte durch die Gassen und Wege. Zwischen bunt geschmückten Häusern blitzten die noch farbenfroheren Kleider der anwesenden Bewohner.
Die Sonne strahlte mit unseren Gesichtern um die Wette, als die Menschenmenge auf eine große Wiese zu riesigen Festzelten zog.
Neben den zahlreichen Pavillons brannten diverse Lagerfeuer, bestückt mit Drehspießen, auf welchen die verschiedensten Tiere gebraten wurden. Köstlicher Duft zog über den Platz.
Die gute Laune wurde durch die Musik, die eine Kapelle spielte, geschürt. Es war pure Lebenslust, die durch meine Adern schoss. Ich konnte mich nicht erinnern, je solch eine Energie gespürt zu haben, solch eine Vorfreude auf den nächsten Atemzug, wohl wissend, dass er im Lachen enden würde.
Ich war so voller tiefstem Frieden und im Einklang mit mir selbst war.
Ein Blick in die Zukunft?
Dann, auf einmal sah ich ihn. Magnus.
Er kam auf mich zu, strahlend lächelnd, mit einer weißen Hose und einem hellblauen T-Shirt bekleidet.
Sollte man bzw. Frau einem Mann sagen, dass er wunderschön aussieht? Denn in dieser Sekunde war er es.
Die Szenerie wechselte erneut.
Es wurde dunkel. Nur Magnus und ich blieben übrig, während sich alles andere auflöste, wie Seifenblasen im Wind.
Wir saßen plötzlich in Magnus Auto.
Ich schaute ihn an und spürte endlose Trauer, als hätte ich ihn gerade für immer verloren. So nahm ich seinen Kopf in meine Hände und küsste ihn ganz sanft auf seine Lippen. Ich schmeckte das Salz meiner Tränen und der seinigen. Es war definitiv ein Abschied.
Meine Hände sanken herab. Magnus blieb wie erstarrt sitzen, als ich aus seinem Auto stieg und, ohne mich noch einmal umzudrehen, für immer aus seinem Leben ging.

Es war doch nur ein Traum! Wieso kroch diese unbeschreibliche Angst dann immer tiefer in meine Knochen?

2 Gedanken zu „Cecilia Clothilde

  1. Es muss nicht das Ende sein. Du kannst mir gern deinen erhofften/ erwarteten Ausgang schicken und schreibe ein alternatives Ende für dich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert