Franzi wollte gerade zu Bett gehen, diese ganze Sylvester-Hysterie ging ihr einfach nur auf die Nerven.
Sicher, früher hatte sie selbst an wilden Partys teilgenommen, da konnte das Feuerwerk nicht laut und bunt genug sein. Sie war meist die erste in der Location und gehörte am nächsten Morgen mit zu den Letzten, die sich auf den Weg nach Hause begaben. Mal mit und mal ohne Schleuderschuhe, aber immer fröhlich lachend.
Doch heute war für sie das alles nur noch lästig. Naja, um genau zu sein, seit letztem Jahr „feierte“ sie schlafend im Bett den „Jahreswechsel“. Und dies sollte nun der zweite „normale“ Tag, die zweite „normale“ Nacht werden.
Wie ferngesteuert schnappte Franzi sich ihren Pyjama und wollte gerade die Tür zum Bad von innen schließen, als ein besonders lauter „Böllerangriff“ vor dem Badezimmerfenster begann.
Aus ihren trüben Gedanken gerissen, legte sie zitternd die Sachen auf den kleinen Hocker neben dem Waschbecken und ging zurück in die Stube. Der tiefsitzende Schreck veranlasste sie sich doch noch ein Glas Rotwein einzugießen, obwohl sie die fast volle Flasche gerade in den Schrank zurückgestellt hatte.
‚Musik, jetzt fehlt noch Musik!‘
Damit sie die Knaller-Orgien nicht mehr hören musste, welche gerade in ihrer Straße stattfanden, schaltete Franzi ihren Fernseher an und suchte den erstbesten Musiksender. Die erste Reaktion auf das Lied, was gerade lief, war völlige Erstarrung, nur um in der zweiten Reaktion die Fernbedienung fallen zu lassen, als würde diese aus glühenden Kohlen bestehen.
Es war sein Lieblingslied, ausgerechnet sein Lieblingslied.
Franzi liefen Tränen die Wangen herab, ohne dass sie dies wahrnahm.
Es war jetzt eineinhalb Jahre her und immer noch schmerzte es, schmerzte er. Jeder Gedanke an ihn, jedes Detail aus ihrem gemeinsamen Leben.
Sie war doch so stark geworden, sie war doch so hart geworden, sie hatte doch vergessen. Und doch – ein Lied und alles war wieder da.
Er war der Grund, warum sie zu Hause war.
Er war der Grund, warum aus einer lebenslustigen, lebensbejahenden Frau dieses Häufchen Desinteresse, dieses gefühlsfreie, dahinvegetierende Etwas geworden war.
Es schien, als hätte er alle Freude mitgenommen, als er ging. Er nahm ihr aber nicht nur ihr unbeschwertes Lachen, sondern nahm gleich noch jedes Vertrauen und jedes positive Empfinden mit.
Dabei hatte sie nur wissen wollen, ob er sie liebte. Sie wollte nur einen kleinen Beweis, dass er nur ein Bruchteil dessen für sie fühlte, wie sie für ihn.
Mit ihm strahlte selbst der Regenhimmel in Sommerfarben. Mit ihm wurde aus jeder seelischen Last eine Feder. Mit ihm gab es kein Gestern und kein Morgen, denn das Jetzt schien unendlich. Er war ihre Sonne, ihr Mond, ihre Sterne. Das Wort Liebe war nicht genug, er war alles und noch so viel mehr.
Doch er war gegangen, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Nein, er war nicht gegangen. Er meldete sich einfach nicht mehr. Auf keine Nachricht reagierte er. Keinen Anruf beantwortete er, geschweige denn, er riefe zurück. Das, sein Schweigen, zersprengte ihr Herz in Millionen Teile und sie hatte in den letzten 18 Monaten davon vielleicht 100 Stückchen wiedergefunden.
Franzi trank mit einem Zug ihr Glas leer.
‚Nicht gut, vertrage keinen Alkohol mehr…‘
Dann nahm sie die Fernbedienung und wollte den Fernseher ausschalten.
Stand da nicht ein riesiges „Ist halt so!“ vor ihren Augen?
‚Mh, der Rotwein knallte doch ganz schön rein, auf nüchternen Magen.‘
Warum liefen ihr dann immer noch Tränen über die Wangen?
Undamenhaft schniefend hörte sie ihre Klingel Sturm schellen.
Die Nachbarn hatten sich angeboten mit ihr zu feiern, aber sie hatte freundlich abgelehnt. Sollten sie vielleicht doch…?
Vorsichtig ging sie leicht torkelnd an ihre Wohnungstür, die Tränen aus dem Gesicht streifend.
„Charlie?“ stieß sie völlig fassungslos hervor, als sie sah, wer da vor ihrer Tür stand.
„Es tut mir so unendlich leid,“ hob der Mann vor ihrer Wohnungstür an, dieser eine ganz spezielle Mann.