Dunkelheit – 1. Fassung

Dunkelheit. Es gab zwei verschiedene Arten davon.
Einmal die Dunkelheit der Nacht, die die Geräusche des Tages verschlang und ängstlich hastende Menschen hervorbrachte.
Die zweite Dunkelheit war die eines jeden Einzelnen. Die, die sich tief drinnen verbarg und tiefste Abgründe und verborgenste Grausamkeiten zu Tage fördern konnte.
Die zweite Form war die weit verhängnisvollere und schlimmere Variante. Denn sie beinhaltete nicht nur die Dunkelheit selbst, sondern auch eine Schwärze, die kein Licht durchdringend konnte. Eine Schwärze, war sie einmal voll ausgebildet, so hielt sie nichts mehr auf.
Woher ich das weiß? Ich muss es wissen, denn ich bin diese Dunkelheit.

Ah, ein Opfer.
Ihre ganze Körperhaltung strahlte dies aus.
Nervös drehte sie permanent ihren Kopf, um ihre Umgebung abzuschätzen.
Mich konnte sie in den langen Schatten der Häuserschlucht nicht ausmachen, ich wartete im grellen Licht einer Straßenlaterne am Ende der Straße.
Dies war das erste Gesetz der Dunkelheit. Verstecke dich im Hellen, dort erwartet dich niemand.
Ah, ein Täter. Schade, sie würde seine Beute, nicht meine.
Er versteckte sich in einem der Hauseingänge. Nein, es war eine sie. Interessant.
Sie wartete, bis das Opfer an ihr vorbeigeschlüpft war und wieder im selben Rhythmus ihre Umgebung absuchte.
Kopf links, Kopf rechte, kurz umdrehen, weiter hasten.
Silber glänzte ein langes schmales Messer auf und beendete das furchterfüllte Leben.
Die Täterin schnappte sich die Tasche des Opfers, welches röchelnd im Sterben lag, und rannte fast lautlos in meine Richtung.
Ah, die Täterin war also mein Opfer.
Nun gut, dann sollte es so sein.
Als sie in den Lichtkegel der Straßenlaterne kam, sank sie zu Boden. Bevor sie aufkam, war bereits alles Leben aus ihr gewichen.
Woher ich das weiß? Ich weiß es einfach.
Ich bin die Dunkelheit, es ist mein Job.

„Liebe, was suchst du schon wieder hier?“, wollte ich von der Lichtgestalt neben mir wissen. Ich mochte nicht, dass sie auftauchte, ohne dass ich davon wusste.
„Die erste Seele gehört mir.“, antwortete die Liebe.
„Und du glaubst, das weiß ich nicht ?“, fragte ich weiter.
„Natürlich weißt du das. Aber du hast mich gefragt, was ich hier suche.“, antwortete die Liebe mir erneut.
Eigentlich war ich nur genervt, doch die Liebe war eine zarte Seele und deswegen nahm ich mal wieder Rücksicht auf sie.
„Ist schon gut.“, knurrte ich und wollte sie allein lassen, doch die Liebe hielt mich auf.
„Möchtest du wirklich allein sein . Ausgerechnet heute?“
Ich seufzte auf. „Und was ist heute anders als sonst?“, wollte ich wissen.
Nun war es an der Liebe zu seufzen .
„Liebe, jedes Jahr kommst du aufs Neue zu mir und stellst mir diese Frage. Und jedes Jahr kennst du die Antwort bereits. Es wird sich nichts ändern. Es kann sich nicht ändern. Du bist das Licht. Und ich bin die Dunkelheit.“, mit diesen Worten ließ ich auch dieses Jahr mein Herz zurück.
Ich weigerte mich darüber nachzudenken, was ich einst verloren hatte. Auch so quälte mich jeden Tag der Gedanke, dass die Liebe und ich niemals wieder das sein werden, was wir einst waren.
Damit die Liebe leben konnte, hatte ich alles geopfert, um sie zu retten. Ich wurde zu der Dunkelheit, die sie zerstören wollte. Und die Liebe opferte ihre Zukunft, damit ich nicht völlig erkaltete.
Doch nur wenn ich mich meine eigenen Dunkelheit ergebe, wird die Liebe überstehen.

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