Gesinde – Sherlys siebentes Abenteuer

Lady Sherly liebte London, diese hektische, laute, übervolle Stadt, welche niemals Ruhe zu finden schien. Doch in Wales hatte sie einen Frieden gefunden, der sie ihren Wohnort in Frage stellen ließ.
Der eisige Winter war von einem bezaubernden Frühling abgelöst worden.
Das karge, graue Land wurde nun von den lebhaften Farben der Frühblüher regelrecht überflutet.
Ein Spaziergang im morgendlichen Tau ließ den Duft hunderter, vielleicht auch tausender von Blumen zu einem Sinneserlebnis werden.
Die austreibenden Bäume setzten ihr zartes Grün frei und verwandelten die schroffen, kahlen Stämme in lebende Geschöpfe.
Lady Sherly war es, als würde Wales nach einem unendlich tiefen und dunklem Schlaf endlich wieder erwachen und der Atem des Frühlings würde das Land mit Farbe, Duft und Licht übergießen.
Sie genoss die stillen Spaziergänge über ihr Land, bei welchen sie lediglich ein paar Hunde, ab und an ihr Pferd und ansonsten nur der Wind und die Vögel begleiteten.
Die Tage flossen sanft dahin mit den morgendlichen Besuchen der Natur, dem Spielen mit ihrer Patentochter Marie und dem Verwalten des Landsitzes.
Lady Sherly hätte ihr Leben gern weiter so genossen, doch auch hier auf dem Land war man gesellschaftlichen Zwängen unterlegen. Sicherlich waren diese bei weitem nicht so enggefasst wie die in London oder irgendeiner anderen Großstadt Englands, doch auch hier konnte man der Ächtung der Gesellschaft anheimfallen. Bis zum heutigen Tag hatte Lady Holmes jegliche Einladung aufgrund der langen, beschwerlichen Wege und des rauen Winterwetters ablehnen können. Doch nun, wo die Iden des März schon einige Tage zurücklagen, ebenso wie Kälte und unbefahrbare Straßen, konnte diese Entschuldigung nicht mehr bemüht werden.
Ausgerechnet von der unsäglich unhöflichen und selbstverliebten Lady Cecilia Woodleyghton erhielt Lady Sherly die erste hochrangige gesellschaftliche Einladung in Wales.
Sonst war diese Person doch die erste, die durch die Hallen von Willis’ Rooms zur Eröffnung der Ballsaison in London schritt. Warum konnte die Dame dies nicht auch dieses Jahr tun? Immerhin begann die Saison am 1. April!
Ein einfacher Tanztee hatte auf der Einladung gestanden! Als ob es bei Lady Woodleyghton jemals etwas Einfaches gäbe!
Das Schlimmste an der ganzen Misere war, dass man in London üblicherweise gegen 20 Uhr zu einem Tanztee erschien, ein wenig tratschte, tanzte und spätestens 23 Uhr seinen Gastgeber wieder verlassen konnte.
Nur war dies auf dem Lande so nicht möglich, da die Entfernungen zwischen den Anwesen zu groß waren. Es war fast ein wenig verhext, dass sich der Landsitz von Lady Cecilia Woodleyghton knapp zwei Tagesreisen von Lady Sherlys Anwesen befand.
Lady Sherly sollte daher eine geschlagene Woche auf dem Landgut von Lady Woodleyghton verbringen!
Ein eisiger Schauer rann Lady Holmes den Rücken hinab.
Sieben Tage mit dieser Person!
Doch egal wie es Lady Sherly drehte und wendete, sie würde die Einladung akzeptieren müssen, ansonsten würde sie niemals in die Londoner Gesellschaft zurückkehren können.


„Lady Woodleyghton behauptete einfach, dass Lady Grace nicht von ihrer Liaison mit dem Stallknecht lassen konnte und deswegen, ihre Einladung ausgeschlagen hatte. Natürlich war Lady Grace damit vollständig ruiniert!“, Lady Sherly unterhielt ihre Zofe Melissa mit diversen Schauergeschichten über die baldige Gastgeberin, damit ihnen beiden die Reise nicht zu langweilig wurde.
Beim letzten Halt, wo die Pferde gewechselt worden waren und alle Mitreisenden ein leichtes Mittagessen zu sich genommen hatten, erklärte Jack, es wäre nicht mehr sehr weit. Nun sollte sie jeden Augenblick in das Landgut von Lord und Lady Woodleyghton einfahren.
Lady Sherly konnte sich an der Parkanlage, durch welche die Kutsche fuhr, kaum satt sehen. Ein Paradies für Reiter und Pferde!
Dem protzig-imposante Bau des Herrenhauses gönnte Lady Holmes jedoch kaum einen Blick.
Sie registrierte, dass diverse Gäste schon vor Ort sein mussten, denn als sie aus der Kutsche stieg, gewahrte sie verschiedene Lords und Ladys an den Fenstern.

Ein Hausmädchen nahm Lady Sherly und ihre Zofe Melissa in der Eingangshalle von Lady Woodleyghtons Landsitz in Empfang.
In tiefstem walisischem Dialekt entschuldigte sie ihre Herrin, diese hätte sich nach einem fürchterlichen Streit mit ihrem Gemahl zurückziehen müssen. Lady Woodleyghton hoffe, ihre Gäste zum Diner begrüßen zu können, doch momentan wären ihre Nerven zu sehr angegriffen.
Dies sei nicht der erste Streit zwischen den Eheleuten, schnatterte das Mädchen weiter und bis Lady Sherly die ihr zugedachten Gemächer erreichte, hatte die Bedienstete eine Ehe zweier fürchterlich launischer Geschöpfe gezeichnet, welche sich in ihrer Selbstsucht hervorragend ergänzten.
Auch wenn Lady Sherly fand, dass Lady Woodleyghtons Landsitz ein abgrundtief hässliches Gemisch aus mittelalterlicher Burg, neugotischen Spitztürmen und trutzigen Rundbauten war, so konnte man das Gästegemach durchaus als äußerst angemessen bezeichnen.
Lady Sherly hatte sich gerade in ihren Räumlichkeiten eingerichtet, als ein anderes Mädchen bei ihr erschien.
Lady Woodleyghton ließ nachfragen, ob sie sich genug von der Reise erholt hätte, für ein Gespräch unter vier Augen.
Auch wenn Lady Sherly ihre Gastgeberin nicht ausstehen konnte, obsiegte letztlich doch ihre Neugier. Sie ließ sich von Melissa helfen, dass Reisegewand abzulegen und schlüpfte in eine leichte Robe, welche für den Besuch bei der Hausherrin gebührlich erschien.
Lady Woodleyghton schien sie regelrecht sehnsüchtig zu erwarten, denn begrüßte sie Lady Sherly bereits überschwänglich, obwohl diese gerade erst einen Schritt in die Gemächer ihrer Gastgeberin gesetzt hatte.
Nachdem die beiden Damen die entsprechenden, nichtssagenden Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatten und Lady Woodleyghton Lady Sherly zu einer bequemen Sitzgruppe bat, hieß die Dame des Hauses ihr Dienstmädchen zu gehen. Auf dem kleinen Beistelltisch war nicht nur ein üppiges Blumenbukett zu finden, sondern auch Tee und Butterscones, welche Lady Woodleyghton sogleich ihrem Gast anbot.
Nachdem sich beide Damen an einem sehr mild gebrühten Tee und äußerst leckeren Scones gütlich getan hatten, begann Lady Woodleyghton einen aufgeregten Monolog.
„Ihr werdet Euch sicher wundern, warum ich Euch zu mir gebeten habe. Doch ist das eine Angelegenheit, die man dringlicher kaum nennen kann!“, theatralische Gesten begleiteten die Worte der Hausherrin. „Meine Zofe Alice ist verschwunden! Meine liebe, gute Alice! Einfach weg! Niemand weiß, wo sie sich befinden könnte. Vielleicht wurde sie entführt?! Oder gar ermordet! Ausgerechnet meine Alice!“
Lady Sherly war kurz von dem emotionalen Ausbruch ihrer Gastgeberin überrascht, bis diese weitersprach.
„Niemand konnte so effektvoll meine Haare frisieren wie Alice! Auch die eine oder andere Unebenheit in meinem Gesicht, da gibt es natürlich nur äußerst selten Pickelchen, bei meiner so wundervollen Haut, konnte sie einfach mit etwas Schminke wegzaubern! Nur Alice konnte meine entzückend schmale Taille richtig zur Geltung bringen!“, Lady Woodleyghton belobhudelte sich noch einige Augenblicke weiter selbst, bis sie letztlich zum Grund ihres Anliegens kam. „Meine liebe Lady Holmes, meine liebe Lady Sherly! Eure kriminalistischen Geschicke sind schon fast so legendär, wie die Eures Bruders! Ihr müsst meine geliebte Alice finden!“
Ganz so, als würde Lady Sherly nur mit den Fingern schnippen müssen und die Gesuchte tauche wieder auf, schaute Lady Woodleyghton diese erwartungsvoll an.
Natürlich würde sich Lady Sherly lieber einem Kriminalfall widmen, als sich mit der anwesenden gehobenen Gesellschaft zu langweilen, doch glaubte sie eher Alice war geflohen, denn verschwunden. Immerhin war ihre Gastgeberin als gemeine und herrschsüchtige Herrin bekannt.
„Meine liebe Lady Woodleyghton, ich kann Euch selbstredend nichts versprechen!“, hob Lady Sherly deswegen vorsichtig an. Ihr Gegenüber begann hektisch imaginäre Tränen aus den Augen tupfen. „Aber ich könnte mir zumindest die Unterkunft Eurer Zofe anschauen, ob ich irgendwelche Hinweise finde!“
„Oh, ich wusste Ihr würdet mir helfen, liebste Lady Holmes!“, überschwänglich sprang Lady Woodleyghton auf, klingelte nach dem Hausmädchen und ließ, sobald dieses erschien, Lady Sherly sofort zur Unterkunft der verschwundenen Zofe führen.
Sehnsüchtig dachte Lady Sherly an die zwei leckeren Scones, welche noch auf ihren Verzehr warteten, doch ergab sie sich mit einem geräuschlosen Stöhnen ihrem Schicksal.
„Hat Alice dieses Zimmer so ordentlich hinterlassen?“, fragte Lady Sherly das Hausmädchen, welches sie zu der Kammer im Gesindetrakt geführt hatte. Das Bett war ordentlich gemacht und kein Staubkorn war in der angeblich vor zwei Wochen verlassenen Kammer zu sehen.
Nervös lachte das Hausmädchen auf. „Ähm nein, ähm Myladys neue Zofe bewohnt jetzt diese Kammer!“
Lady Sherly war nicht überrascht, als sie dies erfuhr.
„Hat Alice irgendwelche Habseligkeiten hinterlassen?“, fragte Lady Holmes weiter.
Während das Hausmädchen sie zu einem anderen Raum führte, begann Lady Sherly dieses vorsichtig auszufragen. So erfuhr sie, dass Alice es am längsten von allen bei Lady Woodleyghton ausgehalten hatte, denn sie war fast drei Jahre in deren Diensten. Außerdem wusste das Dienstmädchen von einer Liaison mit einem Stallburschen. Der Stallbursche Edgar befand sich noch immer auf dem Anwesen von Lady Woodleyghton. Aber auch er wisse nichts vom Verbleib von Alice.
Unter Alice Habseligkeiten fand Lady Sherly nichts, was ihr irgendeinen Hinweis zu geben schien. Eine Handvoll Kleider, eine Haarbürste, ein kleiner Pinsel aus Fehhaar, ein Tiegel mit Creme und diverse Haarklemmen. Auch in der alten Bibel war kein Hinweis zu finden. Irgendjemand hatte mit sauberer Schrift Alice‘ Namen auf die erste Seite geschrieben. Jedoch die verschwundene Zofe konnte es nicht gewesen sein, sie hatte nach Wissen des Hausmädchens nicht schreiben und lesen können.
Lady Sherly dankte dem Hausmädchen und ließ sich zu Edgar, dem Stallburschen führen.
Der Stallbursche bestritt die Liaison mit Alice, er hatte ihr lediglich das Reiten beigebracht. Obwohl sie ein Naturtalent gewesen zu sein schien. Bereits beim zweiten Ausritt wäre sie ihm wie ein gestandener Rennreiter davon geprescht. Edgar hatte Alice aber sichtlich gern und war sehr besorgt über ihr Verschwinden.
Die nächsten Tage Lady Sherlys waren geprägt von Gesprächen mit dem übrigen Personal, formellen Diner mit der anwesenden gehobenen Gesellschaft und Ausritten zur Spurensuche in der Umgebung.
Von den anderen Bediensteten des Landsitzes erfuhr Lady Sherly, dass Alice in London einen halben freien Tag für diverse Besorgungen hatte und hier in Wales einen ganzen. Alice nutzte davon stets jede Sekunde aus und verschwand dann irgendwohin, sowohl in London als auch in Wales. Nur erzählte sie nie etwas über ihre Ausflüge. Sie galt beim Personal als sehr ruhig, freundlich und stets pünktlich. Die Zofe ritt so oft wie möglich mit Edgar und später auch allein aus, was einigen Neid bei den restlichen Bediensteten hervorrief. Viele fürchteten sich vor Pferden, andere hatten nie reiten gelernt. Auch das gute Verhältnis zu Edgar schien manchem ein Dorn im Auge gewesen zu sein. Doch alles in allem wurde kein schlechtes Bild von der Verschwundenen gezeichnet.
Ein Gerücht spukte allerdings noch durch die Dienerschaft, Lady Woodleyghton wisse nichts von Alice Ausritten, welche für eine Zofe an sich schon mehr als ungewöhnlich waren.
Etwa eine knappe Reitstunde vom Anwesen von Lady Woodleyghton befand sich eine kleine Stadt, in welcher auch einiger Luxus der gehobenen Zivilisation zu finden war. Hier gab es einen Hutmacher, zwei Schneiderinnen, einen Goldschmied, einen Schuster und diverse andere Läden.
Natürlich konnte auch Lady Sherly nicht widerstehen und nutzte die Zeit für allerlei Einkäufe. Für ihre Zofe Melissa erstand sie einen wunderschönen handbestickten Schal, für ihre Patentochter Marie erwarb sie zwei kleine silberne, äußerst kunstvoll gefertigte Haarkämme und für ihre beste Freundin Lady Gretchen Gadwington kaufte sie ein fein gewirktes Negligé, um es ihr zur Hochzeit zu schenken.
Für Miles ließ sie von einer der Schneiderinnen eine Weste anfertigen und für Lord Anthony Gadwington eine mitternachtsblaue Krawatte. Beim Schuster gab Lady Sherly zwei große Taschen in Auftrag, um sie den beiden angehenden Ärzten Jakob und Philipp Lewis zu schenken. Nach einiger Diskussion ließ sich ihr Butler Jack neue Reitstiefel maßschneidern. Natürlich erwarb Lady Sherly noch mehr Firlefanz für Sophie und ihre anderen Bediensteten. Auch einer hochwohlgeborenen Dame wie Lady Holmes machte Einkaufen Spaß, zumindest sofern sie ihre Freunde damit beschenken konnte!
Als Lady Sherly beim Schuster die bestellten Waren abholte, gewahrte sie, dass der Goldschmied geschlossen hatte. Das fand sie sehr schade, denn sie hatte da noch ein paar wunderschöne silberne Saphirohrringe gesehen, die sie nun doch gern für sich selbst erstanden hätte. Der Blauton der Saphire entsprach genau dem der Krawatte für Lord Gadwington.
Was Lady Sherly in diesen Tagen allerdings irritierte, war das Verhalten ihrer Gastgeberin Lady Woodleyghton. Diese fragte nicht ein einziges Mal nach dem Stand der Ermittlungen. Dafür, dass Lady Woodleyghton ihre Zofe ach so sehr vermisste, ließ dieses mangelnde Interesse eher das Gegenteil vermuten.

Der Abend des Tanztees war angebrochen und Melissa hatte für Lady Sherly eine wundervolle royalblaue Robe hergerichtet. Die Zofe war gerade dabei Lady Sherlys Haare zu arrangieren, als ein Dienstmädchen vorsprach.
Lady Woodleyghton bitte sie, Lady Sherly, um ihren Besuch.
Lady Sherly akzeptierte und sagte, sie benötige noch etwa eine halbe Stunde.
Melissa, dieser Schatz, ließ sich sogar noch eine Viertelstunde länger Zeit, um ihre Lady wunderschön aussehen zu lassen.
Als Lady Sherly die Räume ihrer Gastgeberin betrat, empfing sie hysterisches Geschrei.
Auf dem Marmorboden lag eine zartgewirkte goldene Kette, welche hervorragend in Form von Blumenranken gearbeitet war. Lediglich die blutroten Splitter, die zwischen diesen Ranken lagen, passten nicht dazu.
„Du dumme Trine, weißt du wie teuer diese Rubine waren? Wie kann man nur so ein Trampel sein?“, kreischte Lady Woodleyghton gerade wenig damenhaft. „Du gehörst ausgepeitscht!“
Während Lady Woodleyghtons Beschimpfungen immer wüster wurden, besah sich Lady Sherly den „Unfallort“ genauer. In der Kette waren Einfassungen, in welchen also die vermeintlichen Rubine gesteckt hatten. Die angeblichen Rubine waren Glassteine gewesen, denn das bewies eine grobe Untersuchung der Splitter. Ein Edelstein wäre vielleicht beschädigt worden, durch den Fall auf den Marmorboden, doch niemals so gesplittert!
„Lady Woodleyghton!“, sprach Lady Sherly ihre Gastgeberin sofort an. Und als diese weiterhin hysterisch ihre Zofe beschimpfte, rief Lady Sherly erneut. Der erwünschte Effekt blieb leider aus, so dass Lady Sherly zu einer definitiv nicht ladyliken Methode griff. Sie stieß einen lauten Pfiff aus, ganz so wie ihr Butler Jack es ihr beigebracht hatte.
Lady Woodleyghton hielt erschrocken ob des Geräusches inne und bemerkte endlich ihren Gast.
„Lady Sherly! Ihr seid schon hier!”, theatralisch kraftlos setzte Lady Woodleyghton sich auf ihren Stuhl vor dem Schminktisch. „Wenn Ihr nur wüsstet, was hier gerade für ein riesiges Unglück geschehen ist! Dieses Gesinde! Meine liebste Rubinkette, zerstört! Durch diese…“
„Genug!“, Lady Sherlys lauter Einwurf brachte die andere Lady endlich zum Schweigen. „Das waren keine echten Rubine!“
„Wie könnt Ihr es wagen…“
„Es genügt, Lady Woodleyghton!“, Lady Sherlys Geduld war am Ende. „Ihr habt mich um meinen Besuch gebeten und hier bin ich! Ein Rubin wäre niemals so zerschellt, wie diese Glassteine, die in den Fassungen Eurer Kette waren! Und die Kette selbst ist noch nicht einmal auch reinem Gold. Sie ist aus Silber und dann vergoldet worden! Schaut Euch die Einfassungen an, dann werdet Ihr es sehen. Dort wurde nämlich das Blattgold nicht ganz sauber aufgetragen!“
Lady Woodleyghton wurde erst hochrot und erbleichte dann.
„Aber…“, mehr brachte sie nicht über ihre Lippen.
Lady Sherly hob die Kette und einige größere Splitter auf, brachte diese zu ihrer Gastgeberin und zeigte ihr, was sie entdeckt hatte. Die Dame des Hauses erbleichte immer mehr, sofern dies möglich war.
„Darf ich mir Eure Ohrringe näher anschauen?“, fragte Lady Sherly nun sanft nach. Lady Woodleyghton trug bereits Rubinohrringe in Goldrankenfassung.
„Meint Ihr etwa…?“, mehr brachte Lady Woodleyghton nicht über ihre Lippen.
Nachdem sich auch die Rubinohrringe als Fälschungen herausgestellt hatten, überprüfte Lady Sherly auch noch den restlichen Schmuck von Lady Woodleyghton.
„Sicherlich ist der Goldschmied im Ort ein größerer Experte als ich, aber bei diesen bin ich mir sicher, dass es sich um Imitate handelt. Das sind alles Glassteine und vergoldetes Silber.“, letztlich lagen fast dreiviertel von Lady Woodleyghtons gesamtem Schmuck auf dem Stapel, auf welchen Lady Sherly zeigte. „Ihr müsst Scotland Yard informieren!“, setzte sie noch nachträglich hinten an.
Verwirrt sah Lady Woodleyghton auf. „Wieso Scotland Yard?“
„Weil Ihr bestohlen worden seid, und die Täterin ist niemand anderer als Eure ehemalige Zofe Alice!“
Dieser Schock war dann für Lady Woodleyghton wohl doch zu viel, sie fiel in Ohnmacht.
Lady Sherly rief zuerst noch ein weiteres Dienstmädchen. Mit vereinten Kräften trugen sie die Dame des Hauses zu ihrem Bett.
Danach nahm sie den falschen Schmuck und die zerstörte Kette, den anderen Schmuck sollte die Zofe wieder in den Schmuckschatullen verwahren, und ließ sich zum Hausherren führen.
Dieser sandte umgehend einen Bediensteten nach London zum Scotland Yard und ließ den Tanztee, wegen einer plötzlichen schweren Erkrankung der Hausherrin, absagen.
Die anderen Gäste wurden am nächsten Tag nach Hause geschickt und nur Lady Sherly blieb noch weitere Tage, bis die Ermittler von Scotland Yard eintrafen.
Natürlich erschien nicht nur ein Detektiv, sondern auch der Commander des Scotland Yards Lord Anthony Gadwington. Bei den illustren Geschädigten ein durchaus nachvollziehbares Vorgehen.
„Zum ersten Mal wurde ich misstrauisch, als ich den kleinen Fehhaarpinsel fand und keinerlei Rouge oder andere Schminke. Alice hatte nur einen Tiegel Creme, also wozu benötigte sie dann den Pinsel aus Eichhörnchenhaaren? Außerdem erklärten mir die anderen Dienstboten, sie konnte weder lesen noch schreiben, doch wozu besaß sie dann eine Bibel? Auch das ständige Verschwinden an ihren freien Tagen gab mir zu denken. In London mag man zum Markt gehen oder die Familie besuchen, aber hier in Wales? Und dass sie immer ausritt, wenn sie frei hatte. Die Lösung fand ich dann aber erst in der zerstörten Kette.“, erläuterte Lady Sherly den Anwesenden, Lord und Lady Woodleyghton, Detektiv Hill und Lord Gadwington. „Einen Pinsel aus Fehhaar benutzt man auch um Blattgold aufzutragen. Der meiste Schmuck von Lady Woodleyghton wurde gefälscht und das, ich muss es leider gestehen, sehr gut. Der letzte Hinweis war der geschlossene Goldschmiedladen. In den letzten Tagen bin ich erneut in die Stadt geritten und habe dessen Nachbarn befragt. Einmal in der Woche kam eine junge Frau angeritten und blieb fast den ganzen Tag im Laden. Von der Beschreibung her, kann es sich dabei nur um Alice gehandelt haben. Und außerdem ist der Laden erst seit einem Jahr hier in der Stadt, der Goldschmied kam aus London.“
Lord Anthony Gadwington musste gestehen, er war fasziniert. Sie hatte es also wieder geschafft in kleinsten Bruchstücken von Indizien den Täter zu finden. Auch wenn sie meist eine Nervensäge war…
„Jetzt müssen wir Alice und den Goldschmied nur noch finden.“, damit beendete Lady Sherly ihren Vortrag.

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