Ich

Die Liebe.
Dieses wundervolle Gefühl, dass den Himmel blauer erstrahlen lässt, die Sonne heller scheinen. Dieses Gefühl, dass dich glauben lässt, Berge versetzen und jede Hürde überwinden zu können. Dieses Gefühl, welches samtige Sinnlichkeit und schier haltlose Begierden weckt. Dieses Gefühl, dass so allumfassend ist, dass man jede Fassette auskosten und genießen möchte.
Doch ich lebte gerade auf der anderen Seite. Ich lernte die Verzweiflung kennen, die ganze Welten zum Einsturz brachte. Ich lernte die Trauer kennen, die dich in tausend Stücke zerreißt und jedes dieser Stücke erneut in tausend Teile zersplittern lässt. Ich blickte in einen dunklen Abgrund, den ich mir selbst geöffnet und vertieft hatte. Ich lebte in einer Hölle, in der das Atmen schwer fiel und es keinen Lichtstrahl zu geben schien, um auch nur an Leben denken zu können.
Ja, ich hatte einen Fehler begangen. Ich hatte mich verliebt. Ja, ich sagte es ihm. Doch nicht, damit er mir seine unsterblichen Gefühle für mich beichtete. Nein, so realitätsnah lebte ich, trotz der ganzen rosa Wolken noch. Ich wollte, dass er wusste, da gibt es ein Problem. Ich wollte, dass er meine „Aussetzer“ verstand. Ich wollte, dass mein bester Freund mir über die Liebe zu meinem besten Freund hinweg half. Unsere Freundschaft hatte so viele schlimme Stürme überlebt, da war das doch wohl nur ein laues Lüftchen. Das musste dieses Band zwischen uns doch aushalten!
Tja, meine Liebe, finde den Fehler…
Er tat das Einzige, was er konnte, ohne selbst zu großen Schaden zu nehmen. Er strich mich aus seinem Leben.
Der Schlüsselbegriff lautete keinen Kontakt. Keine Mail, kein Anruf, nicht einmal Licht schien zu brennen, sobald ich bei ihm zu Hause vorbeikam. Natürlich wusste ich, dass er so etwas schon mit anderen Menschen in seinem Leben getan hatte. Natürlich hatte ich auch diese Möglichkeit erwägt, bevor ich ihm meine Gefühle gestand. Aber jetzt, als ich selbst betroffen war, schien es mir schier unmöglich zu begreifen, dass das mir geschah.
Zuerst verfiel ich in eine Starre. Ich wurde für Wochen zu einer Marionette, die immer brav lächelte, wenn es erforderlich war. Mein Überlebensinstinkt half mir selbst bei solch einfachen Dingen wie Atmen. Alles fiel mir schwer, zu gehen, zu stehen, zu essen, zu arbeiten. Nur meine lebenslang antrainierten Reflexe ermöglichten mir Tag für Tag all diese Dinge zu tun, ohne wirklich anwesend zu sein. Wahre Freude kannte ich nicht mehr. Die kleinen Dinge, die sonst mein Leben verschönten, drangen nicht mehr zu mir durch.
Der Fliederstrauch vor meinem Haus, welcher sonst immer in seiner Blütezeit mein „Schnüffelopfer“ wurde, verblühte, ohne dass ich auch nur wahrnahm, dass die Rispen die herrlichsten Düfte verströmten. Erdbeeren, meine bevorzugte Leibspeise in der entsprechenden Saison, verschimmelten in meinem Kühlschrank, nachdem meine Mutter sie mir liebevoll zurechtgemacht hineingestellt hatte.
Es gab weder Tag noch Nacht, weder Sonne noch Regen. Alles war grau und starr. Alles war unwichtig und ohne Sinn.
Bis ich eines Tages schwer stürzte. Mein linkes Knie und mein linker Ellenbogen waren stark aufgeschlagen und verschmutzt und die Erstversorgung im Notfallzentrum leider nicht sehr hilfreich, oder vielleicht auch Gott sei Dank. Meine Wunden entzündeten sich und ich wurde für zwei Wochen ins Bett verbannt. Eigenartigerweise brach dieser heftige, körperliche Schmerz endlich zu mir durch.
Meine verletzte Seele nahm einen riesigen Atemzug und überflutete mich mit ihrer Pein. Wie nach dem Bruch eines Staudammes überschwemmten mich Trauer und Verzweiflung. Tränen flossen in rauen Mengen.
Ich war endlich an dem Punkt, an welchem ich den Schmerz mit offenen Armen empfangen konnte. Immerhin wusste ich, dass danach wieder die frohe, lebensbejahende Seite auf mich wartete.
So konnte ich dem alten Bekannten namens Kummer seine Zeit geben, um mich zu besuchen, zu versuchen und letztlich wieder zu verlassen.
Ich lebte gerade auf der anderen Seite, doch ich sah das die Sonne wieder heller wurde…

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