Jillian

Sie saß da und starte auf das leere Blatt vor sich. Der Cursor blinkte einen unbarmherzigen Rhythmus. Neben ihr dröhnte ihre Musikanlage.
Tausende Gedanken und Bilder schossen Jillian durch den Kopf.
‚Du musst das genauer beschreiben. Du bist in deinem Stil so unfair, fütterst einen an und erklärst danach nichts…‘
‚Du beschreibst viel zu genau, überlasse es doch dem Leser und seiner Fantasie …‘
‚Als ich die Geschichte las, bekam ich Gänsehaut …‘
‚Wozu machst du das überhaupt, du hast eh keine Ahnung zu schreiben …‘
‚Hier musst du noch etwas einbauen, du präsentierst die Fakten Schlag auf Schlag und man hat keine Chance Luft zu holen …‘
‚Du überforderst deine Leser …‘
‚Schick doch was ein, ich weiß zwar nicht wohin …‘
‚Und wie geht es weiter mit der Geschichte …‘
So viele Stimmen schwirrten durch ihren Kopf. Jede schien zu versuchen sie in eine andere Richtung zu drängen.
Fast beschwörend schüttelte sie den Kopf, um endlich zur Ruhe zu kommen.
Nur wenn sie ihre Geschichte wie einen Film in sich ablaufen sah, konnte sie diese zu Papier bringen.
An Ideen hatte es nie gemangelt, aber meist an Zeit und Ruhe. Jillian brauchte die Anerkennung über das bereits Geschaffene und gab ihren Freunden Kostproben des Geschriebenen. Doch genau das brachte sie in Schwierigkeiten. Die lieb gemeinten Ratschläge und Verbesserungsvorschläge unterbrachen ihren Film. Dann begann die Arbeit zu stagnieren, die Ideen zu versiegen und das Buch wurde nie fertig. An diesem arbeitete sie bereits 3 Jahre.
Bis vor einer Sekunde war alles noch so klar gewesen und dann hatten sich die Erinnerungen an die Gespräche mit ihren Freunden ihren Bann durchbrochen.
Der Cursor blinkte und das Blatt blieb an diesem Abend leer.

„Verdammt, mir fehlen noch 5 Kapitel!“ ließ Jillian ihren Frust an ihrem besten Freund aus. „Ich habe momentan einfach keine Ideen, alles was mir einfällt ist kitschig oder nicht originell genug oder gab es schon mal. Ich will weg von diesen Klischees und den immer wiederkehrenden Außerirdischen usw.“ Wütend stapfte sie aus dem Zimmer, um in das Wohnzimmer zu gelangen.
Nur noch 5 kleine Kapitel, das war manchmal ihr Tagespensum. Doch sie wollte sich nicht wiederholen.
Müde sah sie sich im Raum um.
Schränke, Sessel, Stühle, Tische. Alles nicht zu gebrauchen.
Fernseher. Das endete nur in einer Entführung in die Fernsehwelt, und das war ihr einfach zu oft beschrieben wurden.
Radio. Mystische Geschichten hatte sie mehr als genug, da würde eine Nachricht aus dem Äther nur wie ein Abklatsch wirken.
Uhr. Zeitzauber, verlorene Zeit, Zeitsprünge, Zeitmaschinen. Nichts Originelles dabei.
Telefon. Schon verwendet.
CD, DVD, Video. Zu viele Möglichkeiten, die den Rahmen sprengen.
‚Nichts. Nichts. Nichts.‘
Im Kreise drehend besah sie sich den Raum erneut.
‚Verdammt, huhu, Fantasie, bist du noch da?‘
Enttäuscht ließ Jillian sich auf einen der Sessel fallen.
„Meine Fantasie hat heute Ausgang!“ stellte sie sarkastisch fest.

„Ich gehe jetzt erst mal einkaufen!“ rief Jillian ihren besten Freund Manuel zu, mit dem sie sich ihr Penthouse teilte, wenn er in der Stadt war.
„Alles klar, bis heute Abend!“ erklang die Antwort aus dem seinem Schlaf – und Computerzimmer.
„Jaja, wenn Männer krank sind, ist der Computer ihr bester Freund!“ murmelte sie vor sich hin, während sie das Wohnhaus verließ.
Als sie die Tür öffnete, empfing sie ein wolkenfreier blauer Himmel. Sie wusste, wenn sie nach rechts blickte, sähe sie eine glutrote Sonne am Horizont aufsteigen.
Jillian entschied heute bis zur Straßenbahnhaltestelle zu laufen und auf den Bus zu verzichten. Sie lenkte ihre Schritte nach rechts und gab dem Naturschauspiel die Chance sich ihr in den schillerndsten Farben zu offenbaren.
Links und rechts der Straße säumten Pappelbäume ihren Weg, welche erst frisch beschnitten wurden waren. Ihre einst mächtigen Kronen fehlten in dem gewohnten Bild.
‚Ob es einem Baum eigentlich weh tut, wenn er beschnitten wird?‘ schoss ihr durch den Kopf.
Vertieft in den Anblick der gestutzten Baumkronen und des Sonnenaufgangs blieb sie stehen. Sie genoss diese Naturschauspiele, die seltenen Sekunden der absoluten Ruhe und Glückseligkeit, viel zu selten.
Nachdem die Sonne den Himmel goldgelb gefärbt hatte und die Blendung durch das gleißende Licht einsetzte, lief Jillian weiter zur Haltestelle.
‚Der zerbeulte weiße Transporter wirkt unheimlich!‘ schoss es ihr durch den Kopf, während sie sich in die gerade in die Haltestelle eingefahrene Straßenbahn setzte.

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