Ich hatte mich in die Berge Irlands zurückgezogen, in eine einsame Hütte, irgendwo im Nirgendwo. Meine beste Freundin begleitete mich, sie wollte sich in dieser Abgeschiedenheit von der letzten Trennung erholen. Auch wenn sie froh sein konnte, von diesem Idioten verlassen worden zu sein, so war es doch auch unendlich schmerzhaft. Und eins konnte diese karge Landschaft, Frieden und Trost spenden.
Nun ja, eigentlich war ich auf Wunsch meines Verlegers hier. Ich sollte endlich mein nächstes Buch fertig schreiben und ich hatte sowas von Schreibblockade, ich gab diesem Begriff eine völlig neue Bedeutung. Warum er mich nun allerdings nach Irland schickte, wusste ich mir auch nicht zu erklären. Mein Englisch war faktisch nicht existent.
Doch die Menschen aus dem kleinen Städtchen, welches fünf Kilometer von hier entfernt lag, waren nicht sauer über mein Kauderwelsch. Sie freuten sich eher darüber, dass ich es wenigstens versuchte, mich in ihrer Sprache verständlich zu machen. Einige der Einwohner waren richtiggehend schrullig, andere eher Stereotypen. Sie boten mir gute Vorlagen für meine Charaktere, auch wenn ein Science-Fiction-Roman und Irland so viel gemein hatten wie Mathematik und Kochen.
Jedenfalls hatte ich es geschafft. Dank der lieben Pflege meiner Freundin, die mich mit Kaffee, Essen und noch mehr Kaffee versorgt hatte, nachdem der Knoten der Schreibblockade endlich geplatzt war. Und auch dank der Einwohner von, ach Gott, was weiß ich wie das ausgesprochen wird.
Meine Freundin war vor zwei
Stunden losgefahren, um Sekt zur Feier des Tages zu besorgen. Ab morgen würden
wir dann Irland erkunden, denn meinen Verleger wollte ich noch ein, zwei Wochen
schmoren lassen. Wer wusste schon, was die Zukunft brachte. Vielleicht hatte
ich das nächste Mal nicht so viel Glück beim Überwinden der Schreibblockade.
Nachdem weitere zwei Stunden ins Land gegangen waren, wurde ich langsam unruhig.
Das sah ihr gar nicht ähnlich, so lange unterwegs zu sein. Sicher das Städtchen war ein Stück entfernt und es gab einige unbefestigte Straßen, welche sehr steil waren und schwierig zu bewältigen. Doch sie war die letzten sieben Wochen fast jeden Tag diese Strecke gefahren…
Schließlich hielt ich es nicht
mehr aus und begann ihr auf der Straße entgegenzulaufen.
„Stop!“ schrie mir eine tiefe Männerstimme hinterher. Den folgenden Redeschwall identifizierte ich zwar als Englisch, doch ich verstand nur irgendwas von Stehenbleiben und Gefahr.
„Entschuldigung, ich verstehe keinen Ton, von dem was Sie sagen, außer vielleicht „Stop“ und „Danger“. Ich weiß nicht…“ begann ich zu erklären, als ich stehenblieb und mich umdrehte.
„Wow, wow!“ unterwürfig hob ich meine Hände in Höhe des Kopfes.
Ein vollbärtiger Waldschrat mit einem Gewehr im Anschlag, der augenscheinlich nichts von dem verstand, was ich sagte, genauso wie ich bei ihm. Das konnte definitiv nicht lustig ausgehen.
„I look for my friend, Moment oder heißt es I look of my friend?“ versuchte ich meine Brocken Sprachkenntnisse zusammen zu suchen.
„No, no, no. You can`t…“mehr von den Worten, welche der Mann von sich gab, verstand ich nicht.
„Sorry, I can not Englisch… ähm understand… oder so.“ unterbrach ich den Kerl.
„Where are you from?“ sah der Mann mich ratlos an.
„Ja, das verstehe ich! Die Frage kenne ich!“ Gott, das Gewehr machte mich mehr als nervös. „I´m from Germany!“
„Germany?“ fragte der Kerl nach und senkte endlich das Gewehr.
„Yes, yes, I´m German.“
„Okay, and your English is very bad.“ Gut, wäre das also auch geklärt. „You are looking for your friend.”
“Yes, yes. She is my best friend and she drives in the town, drives mit dem car.” versuchte ich zu erklären.
Nachdem wir beide unsere Sprache auf einfache Worte einstellten und Hände und Füße zum Verständigen benutzten, konnten wir dem anderen unser jeweiliges Anliegen begreiflich machen.
Ich sollte stehenbleiben, weil es wohl gefährlich wäre weiterzugehen, das Warum verstand ich trotz aller Versuche leider nicht.
Die Waffe hatte der Typ, weil er sich etwas zu Essen jagen wollte und nicht wildfremden Passanten Angst machen.
Irgendwann
einigten wir uns, dass der Mann mir half in das Städtchen zu kommen.
Das alles war nun zwölf Monate her. Mein Englisch hatte sich nur minimal gebessert, dazu war ich zu sprachunbegabt. Ich verstand, was gesagt wurde, aber Ausdrücken fiel mir nach wie vor schwer. Da ich allerdings so etwas wie die Anführerin von knapp 3.000 Menschen unterschiedlichster Nationalitäten war, versuchte ich mein Bestes.
Ich wusste jetzt, was an jenem Tag passiert war und was aus meiner besten Freundin geworden war. Sie war verschüttet worden und wir konnten sie retten, auch wenn sie seither im Rollstuhl saß, aber sie lebte. Nur ist das ist eine andere Geschichte.
In den Kanaren war ein Supervulkan ausgebrochen. Dadurch wurde eine halbe Insel ins Meer gesprengt und die daraus resultierende Flutwelle hatte das Antlitz der gesamten Welt verändert. Irland war immer noch eine Insel, doch wesentlich kleiner und vor der Wucht des Wassers war man nur in den Bergen sicher gewesen. Jede Menge Inselstatten waren verschwunden, viele Küstenregionen geflutet, Millionen Menschenleben verloren.
Ich kann nicht sagen, warum die Überlebenden mir folgten. Doch der Waldschratt entpuppte sich als ehemaliger Soldat und rasiert und gewaschen sogar als hübscher Kerl. Er trug meine Freundin förmlich auf Händen. Ich glaube, ohne ihn hätte sie es nicht geschafft.
Jedenfalls als wir in der Stadt angekommen waren, erfuhren wir von dieser weltweiten Tragödie. Die meisten Menschen rannten ziel- und kopflos durch die Straßen. Manche fingen an zu plündern, manche saßen einfach nur apathisch da und gedachten ihrer Lieben, aus den Küstenregionen, welche sie nicht erreichten.
Ich ging schnurstracks zur Polizei, um nach meiner Freundin suchen zu lassen. Und der diensthabende Polizist verstand sogar sehr gut deutsch.
Natürlich hatte die Suche keinerlei Priorität, bis ich den Polizisten fragte, wem er denn sonst helfen könnte? Alle anderen waren verloren und so grausam und hartherzig es sein mochte, meiner Freundin konnte noch geholfen werden. Machte uns nicht gerade das zum Menschen? Das uns das Schicksal einzelner interessierte?
Je länger ich mit dem Polizisten sprach, desto mehr Menschen trafen ein, jene die selbst Hilfe suchten oder die, die helfen wollten. Der Polizist, übrigens heute mein langsam verzweifelnder Englisch-Lehrer, übersetzte meine Worte. Ich sagte, dass wir eine Liste machen sollten und dann entscheiden, wer zuerst gerettet werden muss.
Zum Schluss versuchte ich mich in meinem gebrochenem Englisch.
„I don´t know, what’s going on in the rest of the world. I know my friend needs help. And I fight for her an all the other people in this town.” Ich schaute in die Runde und schloss mit: „Whatever it takes!“
Und so legten wir los. Ich koordinierte alles, der Polizist übersetzte und der Waldschratt sorgte für einen geordneten Ablauf. So reaktivierten wir die Menschlichkeit in dieser Stadt.
Heute, zum Jahrestag dieses Unglücks, hatten wir immer noch keinen Kontakt zum europäischen Festland. Ich wusste nichts von meinen Lieben und sie nichts von mir. Wir hatten einige Monate ein Radio, welches uns auf dem Laufenden hielt, doch die Batterien gingen aus.
So haben wir uns hier eingerichtet, bis sie uns
finden. Wir betreiben Ackerbau und Viehzucht, unternehmen Ausflüge in die
benachbarten Countys und leben bis wir wieder Kontakt mit der „Außenwelt“
bekommen.