Entsetzt schaute Heinrich auf die neuen Mieter. Es waren junge Leute, die dem Begriff abgerissen eine völlig neue Bedeutung gaben. Nichts, was diese Menschen am Leib trugen, erinnerte auch nur im entferntesten an die einstmalige Farbe oder gar die originale Form der Kleidungsstücke. Die Möbel, welche aus einem Umzugswagen entladen wurde, hätte jeder normale Mensch nicht einmal mit Handschuhen angefasst. Der starrende Dreck an diesen Gegenständen war bis zur dritten Etage sichtbar, welche Heinrich bewohnte. Das Schlimmste an diesen Kreaturen waren die drei Kinder. Oh, nicht das Heinrich Kinder nicht mochte, im Gegenteil, er liebte sie abgöttisch. Aber diese Bälger schafften es innerhalb einer halben Stunde seinen mühsam angelegten Blumengarten völlig zu verwüsten, in dem sie gnadenlos Fangen spielten, mit ihrem zottligen Riesenkalb von Hund.
Und er hatte sie ganz nett gebeten vorsichtig zu sein! Heinrich zog sich erschöpft vom Fenster zurück. Er wusste, dass er heute nichts mehr ausrichten konnte und auch die nächsten Wochen mit diesen Banausen leben musste. Sein altes Gemüt benötigte dringend Ruhe und Kraft. Und als hätte er es geahnt, dass so etwas passiert, schallten zwei Stunden später laute Bässe durch das Haus.
Müde blickte Heinrich auf seinen Wohnblock. Er hatte Reißaus genommen, vor diesen grässlichen Leuten. Er hasste es, aufzugeben, aber er wusste, diese Sache erledigt sich bald. Die weißgelb getünchte Fensterfront blitzte ihn scheinbar übermütig an. Doch er mochte das Lächeln nicht erwidern. Zum tausendsten Mal in den letzten drei Wochen spürte er sein Alter. Obwohl man zweiundachtzig nicht wirklich alt nennen konnte. Doch genau diese Anzahl von Jahren lebte er hier. Mehr oder weniger friedlich. Er und seine Kinder waren hier geboren wurden, seine Frau war hier vor neunzehn Jahren gestorben und er gedachte dies, eines fernen Tages, auch zu tun. Obwohl ihm momentan dieser Tag eher näher als fern schien.
Was sollte er nur tun? Es war klar, dass Ophelia das Heft in die Hand nahm und diese „leidige Sache“ für ihn erledigen würde. Doch was war, wenn sie an der Abwechslung Gefallen fand? Heinrich spürte manchmal ihre Langeweile und war sich daher nicht sicher, ob und wann Ophelia eingreifen würde. Doch allein, was er im Treppenhaus schon für Verschmutzungen wahrgenommen hatte, wie mochte es da erst in deren Wohnung aussehen? Der in matten Pastelltönen vorgerichtete Treppenaufgang war mit Filzstift, Farbsprays und anderen undefinierbaren Dingen beschmiert wurden. Die zierlichen Bordüren waren teilweise zerschnitten und abgerissen wurden. Die Wohnungstür, welche noch Original und aus Holz war, hatten diese Kretins mit grüner Ölfarbe bepinselt. Zwei der kunstvollen Bleifenster waren eingeschlagen und mit Folie notdürftig verschlossen.
Müde seufzte Heinrich. Diese Qual ging schon viel zu lange. Alle anderen Mieter waren schon bei ihm gewesen und wollten wissen, wann Ophelia etwas unternahm. Aber sie hörte ihm nicht einmal zu! Pfeifend entwand sie sich jedem Gespräch, laut pfeifend, als ob sie sein Gejammer nicht hören wollte.
Er sollte ihr vielleicht androhen, wegzuziehen, sie allein zu lassen! Oh, das würde Ophelia nicht schmecken. Ihre Eitelkeit wäre gekränkt, genau wie bei Philip, seinem Sohn. Ophelia hatte fast zwanzig Jahre nicht mit dem Jungen geredet, bis dann seine Mutter, Heinrichs Frau, starb. Erst dann hatte sie Philip getröstet.
Ja, dieser Plan, war ein guter Plan. Oder auch nicht. Ophelia wusste, dass Heinrich hier, in seiner Wohnung einschlafen wollte, um diese eine letzte Reise anzutreten. Verdammt, was sollte er nur tun?
Zwei Monate! Geschlagene zwei Monate hatte sie sich das Ganze angesehen, zum größten Teil wegen ihrer Langeweile, doch genug ist genug! Jetzt war es Zeit zum Aufräumen! Ophelia begann erst leise, dann immer lauter zu pfeifen und jeder der sie kannte und es hörte, wusste was die Zeit geschlagen hatte.
Heinrich begann zu kichern, leise, ganz leise. Und wenige Augenblicke später wurde dieser Ton ein schallendes Gelächter, welches ihm Tränen über das Gesicht rollen ließ.
Zwei Wochen später fuhr der Möbelwagen vor und diese schrecklichen Leute verschwanden, wie sie vor fast drei Monaten gekommen waren, laut und schnell.
Heinrich strich liebevoll über die Fensterbank.
„Was immer du getan hast, es hat funktioniert. Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen, Ophelia!“
Ein Windhauch, der wie leises Gelächter klang, hallte durch den Lüftungsschacht.