Placebo

Vorgaben:

  • von Petra
  • „Erfindung“ des Placebo-Effektes von Medikamenten durch eine Krankenschwester im II. Weltkrieg
  • ein Arzt ist darin verwickelt

Wo soll ich nur beginnen?
Bei meiner Mutter, der unbekannten Krankenschwester, deren Taten mein Idol zum anerkannten Wissenschaftler machte?
Bei mir selbst, dem Jungen, der nicht auf seinen Vater hören wollte und auf grausame Weise zum Mann geschmiedet wurde?
Bei meinem Idol, welches stürzte, als ich die Tagebücher meiner Mutter las?

Eine unabwendbare Tatsache ist und bleibt, Krieg ist Scheiße.
Verzeihen Sie mir bitte, meine Mutter hat mich anders erzogen, aber es gibt kein anderes Wort um Krieg zu beschreiben.
Ich könnte Ihnen in aller Ausführlichkeit berichten, dass man betet, dass sich nur Schlamm unter seinen Füßen befindet, durch den man mit seiner Einheit watet. Wohl wissend hier fand vor kurzem eine Schlacht statt. Auch das Krieg seinen eigenen Geruch hat, werden Sie hoffentlich nicht wissen. Man riecht Fäulnis, Blut und Tod. Klingt banal, aber beten Sie, dass Sie mich nie verstehen werden! Die Geräusche des Krieges sind so unterschiedlich, dass man regelrecht taub wird. Ich war einst in einem Spähtrupp und erkundete mit meinen Kameraden die Gegend, ein kleines Waldstück mit einem Bächlein, mit kaltem, klaren Gebirgswasser.
Die Stille des Waldes war ohrenbetäubend. Das Wasser des Bächleins klang wie die Niagara-Fälle. Wir kannten nur noch Waffengesang und Verwundetengejammer.
Vielleicht sollte ich Ihnen auch von den Gefühlen des Krieges berichten. Zu Beginn haben Sie das Herz voller Heldendrang, und jungenhafter Übermut lässt Sie glauben, dass Sie den Krieg gewinnen werden. Nur Sie allein. Doch dann kommt die Realität und mit ihr die Angst, der Schmerz, der Verlust und letztlich der Stumpfsinn.
Vermutlich würden Sie mir recht geben, wenn Sie das alles kennen würden, Krieg ist Scheiße.

Meine Mutter war eine liebenswerte, empfindsame Frau, welche Zeit ihres Lebens nur einen Wunsch hegte, Menschen zu helfen.
Der Beruf als Krankenschwester schien für sie erfunden worden zu sein.
Vielleicht kennen auch Sie einen Menschen, dessen liebevolles Lächeln oder inniger Blick Ihnen Frieden schenkt und dessen Berührung Ihnen Trost spendet?
Sie war das alles und noch so viel mehr.
Als der zweite Weltkrieg ausbrach, konnte sie niemand davon abbringen, sich für die vorderste Front zu melden. Weder ihr Mann, welcher nicht wehrtauglich war, noch ihr dreijähriger Sohn, also ich, konnten sie umstimmen.
Der Krieg zog sich dahin und zurückblieben letztlich nur ihre Tagebücher und Auszeichnungen, welches sie für herausragende Dienste fürs Vaterland erhalten hatte.
Ich war so wütend auf meine Mutter. Und mit jedem ehemaligen Patienten, der dem Witwer und dem Sohn seine Aufwartung machte, um von ihren heroischen und zutiefst menschlichen Taten zu berichten, wuchs diese Wut.
Eines Tages traf ich dann ihn, den eitlen Gockel.
Warum ich ihn so nenne? Ich kenne nur den Namen, den er annahm um berühmter zu werden, denn dieser Namen gehörte zu den oberen Zehntausend, wie man so schön sagt. Wie er wirklich hieß, weiß ich nicht.
Der eitle Gockel wurde mein Idol! Ausgezeichnet mit, unter anderem, fünf Battle Stars berichtete er von seinen Forschungen und seinen Erkenntnissen.
Ha! Seinen…
Wegen ihm ging ich zur Armee und gelangte letztlich zum Krieg.
Mein Vater versuchte alles um mich von diesem Pfad abzubringen, doch der Einfluss des Gockels war so groß, er glich fast einer Gehirnwäsche.
Vater gab mir als förmlich letzten Ausweg die Tagebücher meiner Mutter, aber ich weigerte mich sie zu lesen. Und so zog der dumme Junge, der ich war, in den Krieg.

Als ich wieder zu Hause war, mit geschundenem Körper und zerbrochener Seele, fand ich die Tagebücher meiner Mutter.
Bis heute weiß ich nicht warum, aber ich begann in ihnen zu lesen.
Sie hatte alles aufgeschrieben. Jeden Patienten, jede Behandlung, jedes Vorkommnis.
Am Anfang waren sie noch voller dem Heldendrang, den jeder Soldat zu Beginn verspürt, doch die bittere Realität zeigte schnell ihr grausames Gesicht. Es fehlte an allem, an Ärzten, an Verbandsmittel, an Medikamenten.
Die einzige Zuflucht meiner Mutter waren ihre geliebten Bücher.
Irgendwann fand sie eine Geschichte über Platon und den Placebo-Effekt.
Platon war der Meinung, dass gute, liebevolle Worte die Kraft haben, Kranke zu heilen.
Da Morphin in jenen Tagen wertvoller war als Gold, begann sie den Verwundeten schöne Geschichten vorzulesen, denn es gab keine andere Möglichkeit, diese anders von ihren Schmerzen zu abzulenken.
Das Vorlesen war jedoch kein Ersatz für Sedativum.
Ein junger Soldat, mit schweren Verletzungen, flehte meine Mutter an, ihn zu töten. Er hielt diese Schmerzen nicht mehr aus. Die Betäubungsmittel hatten gerade noch für seine Operation gereicht. Er wimmerte und flehte, so dass meine Mutter nicht mehr aus noch ein wusste.
Sie würde kein Leben beenden, niemals. Doch hatte sie manchen Soldaten am Wundschock sterben sehen.
Mutter wollte diesem jungen Mann unbedingt helfen.
Sie wusste später selbst nicht mehr warum, aber sie nahm einen Infusionsbeutel mit Kochsalz-Lösung und hängte ihn dem Soldaten an. Dann flüsterte sie ihm zu, er möge sich nicht wundern, wenn seine Schmerzen weniger würden. Sie hätte ihm ein Schmerzmittel angehängt und der Arzt würde sehr böse auf sie sein, wenn er es erführe. Es wäre der letzte Beutel!
Der Verwundete glaubte ihr wohl, denn er wurde ruhiger und seine Schmerzen schienen nachzulassen.
Mutter war überrascht, dass es funktionierte. Sie weihte zwei ihrer Kolleginnen ein und sobald die Schmerzmittel zu knapp wurden, versuchten sie den Trick mit der Kochsalz-Lösung.
Bald sprach sich der Erfolg unter den Krankenschwestern herum und so konnten sie den folgenden verletzten Soldaten mit einer Lüge helfen. Bei neun von zehn Patienten wirkte es. Es war die einzige Möglichkeit an vorderster Front, wo kaum ein Nachschub hingelangte, die Verwundeten halbwegs menschlich versorgen.
Als ein junger Chirurg davon Wind bekam, schrie er herum, wie sie die Patienten nur so grausam behandeln konnten und verlangte die sofortige Gabe von Morphin für seine Patienten.
Doch der „Giftschrank“ war fast immer leer und die Erfolge der Schwestern sprachen für sich.
Und dieser junge Chirurg?
Er nahm diese Tatsache und begann eine wissenschaftliche Abhandlung darüber zu schreiben. Doch die Erfolge und Leistungen der Frauen verschwieg er.
Als ich dies las stürzte mein Idol.
Es war der Erfindungsreichtum meiner Mutter und ihrer Kolleginnen, die uns die Kraft des Placebos schenkten und sie blieben unbenannt.

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