Raphaela

Es war stockdunkel. Auch nicht der Hauch eines Lichtscheines umfing Peter, als er von einem leisen, schnarrenden Geräusch aus dem Schlaf gerissen wurde.
Eigenartig, so laut war dieser Ton gar nicht gewesen und Peter hatte immerhin tief und fest geschlafen.
Er lag auf dem Rücken, den Kopf am Fenster, die Füße in Richtung Tür. Als er die Augenlider hob, erschrak er.
Mitten in dieser tiefschwarzen Nacht stand eine junge Frau. Sie schien in weißem Licht zu baden, nein, das Licht schien aus ihr zu strömen.
Lächelnd blickte sie Peter an.
„Hab keine Angst.“
Peter erhob sich halb, um sofort wieder in seiner Bewegung inne zu halten.
Sie hatte nicht einmal die Lippen bewegt, als sie mit ihm sprach. Wer war sie?
„Raphaela, mein Name ist Raphaela.“
Konnte sie etwa Gedanken lesen? Hatte sie wieder mit verschlossenem Mund gesprochen? Oder bewirkte dieses Licht etwa die Sinnestäuschung?
Raphaela lachte leise auf.
„Ich bin… ähm…“ Peter räusperte sich, als seine Stimme schwankte.
„Ich weiß, wer du bist, Peter.“ unterbrach ihn die liebliche Stimme. „Und du weißt, wer ich bin, nicht wahr?!“
Erstaunt riss Peter die Augen auf. Er begann, die Frau genau zu mustern. Der leicht verschreckte Zug um seinen Mund begann sich in süffisantes Grinsen zu wandeln.
Oh ja, diese Raphaela schien ihrem Namen alle Ehre zu machen. Nicht nur das sie ein puppenzartes Gesicht besaß, nein, auch ihre Figur war engelsgleich.
Lüstern musterte Peter den Busen, den flachen Bauch und die weiblichen Hüften. Sanfte Hügel prägten ihr Erscheinungsbild, aber selbstverständlich nur an den wichtigen Stellen.
Ja, wenn er sie so getroffen hätte, das wäre ein Spaß mit ihr gewesen…
„Schäm dich, Peter. Deswegen bin ich nicht hier und das weißt du!“ leise tadelnd klang ihre sonst so sanfte Stimme.
„Weswegen bist du sonst hier, Raphaela? Willst du mich etwa erlösen?“ spottete der Mann. „Mein Seelenheil hab ich doch schon vor langer Zeit verloren.“ Ein grausames Lachen schallte durch den engen Raum.
„Peter, Peter, Peter.“ Raphaela schüttelte den Kopf. „Die Absolution ist für dich zu spät, das wissen wir, aber ich soll dich warnen…“
Wütend sprang Peter auf. „Mich warnen? Wer bist du, dass…“
So plötzlich wie Raphaela erschienen war, verschwand sie auch wieder.
Verwirrt schüttelte Peter den Kopf.
„Was zum Geier…“ hob er an zu schimpfen. Entsetzt und müde warf er sich zurück auf sein Bett und versuchte weiter zu schlafen.

„Wer ich bin?“ ein geisterhafter Laut folgte der donnernden Frage, dieser Ton glich einem Gewittergrollen.
Raphaela stand wieder an derselben Stelle wie zuvor. Doch bewirkte das weiße Licht keine engelsgleiche Erscheinung sondern verwandelte das zarte Antlitz der jungen Frau in eine bizarre Maske. Ihr lieblicher Körper schien in eine Ausgeburt der Hölle verwandelt, ohne auch nur einen Millimeter ihrer Maße verändert zu haben.
„Diese Frage bedarf wohl keiner Antwort!“
Peter sprang aus seinem Bett. Er, der Gewalt und Entsetzen glaubte erfunden zu haben, versuchte sich nun in die Ecke des Raumes zu zwängen, um darin zu verschwinden.
„Was… was … was willst du?“ begann er stammelnd. „Ich habe … ich will … ich kann …“
„Spar dir dein Gestammel!“ erscholl die Stimme, ohne das Raphaela auch nur ansatzweise ihre Lippen bewegte. Mit jedem gesprochenem Buchstaben schien ihre Gestalt grauenvoller, das sie umgebende Licht geisterhafter.
„Sag es!“ der Befehl peitschte durch den Raum.
„W … w… was?“
Raphaela begann ganz langsam und bedächtig auf den völlig verängstigten Mann zu zugehen. Sie schmunzelte erheitert, als Peter versuchte sich immer kleiner zu machen, immer weiter in die Ecke zu drängen.
„Vertue deine letzte Chance nicht!“ warnte die Stimme, doch diesmal in dem milden Ton, in welchem Raphaela das erste Mal gesprochen mit ihm hatte.
Vergnügt nahm die junge Frau wahr, wie diese Freundlichkeit die Grundlage bot, um Peters Körper wieder etwas „wachsen“ zu sehen.
„Aha, du hoffst auf Erbarmen!“ bemerkte sie lachend.
Das darauf folgende Nicken ließ ein Lachen entstehen, welches Peters Widerstand endgültig brach.
„Alles … ich erzähl alles … alles, was du willst …“
Mit befriedigtem Gesichtsausdruck begab sich Raphaela zurück auf ihre alte Position.
„Setz dich, mein Freund.“ lockte die weiche Stimme. „Komm, setz dich hierher aufs Bett und erzähl es mir.“
Ohne zu zögern befolgte Peter diese Bitte.
„Gut, setz dich bequem hin und entspann dich.“
Er nahm sein Kopfkissen, stopfte es sich hinter den Rücken und lehnte sich locker an die Wand.
„Und nun erzähl es mir, jedes noch so kleine, schmutzige Detail. Und lass nichts aus, ich werde es wissen, wenn du etwas verschweigst oder gar lügst!“

„Inspektor, spinne ich oder singt er wie ein Kanarienvogel vor seinem Spiegelbild?“ wollte Kollege Adams vom Morddezernat wissen.
Inspektor Kurzweg schmunzelte in sich hinein. Zu oft hatte er solch eine Aktion schon erlebt.
Sie stand einfach nur an der Tür, keine zwanzig Sekunden, und jeder begann zu reden. Diebe, Kinderschänder, Vergewaltiger und nun dieser Massenmörder.
Peter Raser, einem Mann, dem nur der eigene Genuss an der Qual und dem langsamen Sterben anderer gelegen war. Einem Menschen, der fremdes Leben, so verachtete und verabscheute, dass er es auf brutalste Weise beenden musste.
„Tja, sie ist halt unsere Beste. Raphaela hat mit ihrer stillen Art noch jeden geknackt.“

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