Ylvi

Sie wusste nicht, warum sie ihre Schritte diese Straße entlang führten.
Auch hatte sie keine Ahnung, woher ihr klar war, dass das Ziel ihrer Reise die kleine Gaststätte am Ende der folgenden Gasse war.
Dieses Wissen besaß sie schon alle ihre 152 Leben hindurch, in welchen sie eine oftmals eher kürzere als längere Lebenserwartung gehabt hatte, um an diesen Ort zu gelangen.
Ylvi war ihr Name.
Indianerin war ihre Herkunft.
Doch alles andere, vor allem ihre völlige Gewissheit, konnte sie nicht erklären.
Ein riesiger Mann stand vor der Gaststätte, welche ihr Ziel war.
Sie kannte ihn, dessen war sie sich sicher, mindestens aus 70 ihrer Leben.
Er stellte heute keinerlei Gefahr dar, auch wenn er sich grobschlächtig und derb vor ihr aufbaute.
Dunkel war seine Haut, von einem Farbton wie Zartbitterschokolade.
Ja, einst war er gefährlich für sie gewesen. So hatte er sie in den letzten achttausend Jahren schon geliebt, geschändet, wie Wild gejagt und grundlos ermordet, doch heute war sie bei ihm in Sicherheit.
Er ließ Ylvi an sich vorbei, den kleinen verräucherten Raum betreten. Eine zierliche Chinesin und ein junger weißer Mann saßen bereits an dem Tisch, an welchen der Türsteher Ylvi geleitete.
Ja, hier war sie richtig.
152 Leben lang hatte sie diesen Ort zu erreichen versucht und nun endlich war sie angekommen.
„Ich bin Nick, also das ist mein jetziger Name.“ begann der Türsteher, nachdem sich alle gesetzt hatte. „Danke, dass ihr gekommen seid.“
„Ich würde gern mal wissen …“
„Was soll das alles …“
„Keine Ahnung, warum …“ begannen die anderen drei ihm ins Wort zu fallen.
„Es wird sich gleich alles aufklären.“ antwortete Nick mit lauter, aber trotz allem ruhiger Stimme. „Ein jeder von uns trägt einen Teil unseres Puzzles in sich, in seiner Erinnerung. Jeder von uns erhielt nur einen Teil unseres alten Wissens, welches sich nun wieder vervollständigen wird, da wir uns begegnet sind …“
„… denn das war unsere Aufgabe, uns von vier verschiedenen Kontinenten aus, an diesem Ort, auf dem fünften Kontinent, zu treffen …“ sprach Marie, die kleine Chinesin, für den verstummten Nick weiter, nur um dann selbst wieder in Stille zu verfallen.
„… für jede gelöste Aufgabe erhalten wir ein weiteres Leben und wechseln zur nächsten Aufgabe. Allerdings für jede fehlgeschlagene Mission verlieren wir ein Leben …“ fuhr Quentin, der junge Weiße fort.
„… stirbt einer von uns bei einem Versuch, gilt die Aufgabe als ungelöst…“ wusste Nick noch hinzuzufügen.
„… es sollte eigentlich eine einfache Mission werden, diesmal, doch ist das unser letztes Leben, unser letzter Versuch, welcher den Erfolg bringt und erst jetzt können wir in die nächste Dimension wechseln…“
Der Schall von Ylvis Worte ertönte bereits in einem leeren Raum, an einem Ort auf dem Planeten Erde, so hieß er zumindest in dieser Dimension.

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