Dafür, dass es noch nicht einmal zwölf Uhr mittags war, war es ein düsterer Tag. So düster und kalt, dass es fast Nacht schien.
Eine dunkle Vorahnung beschlich Zusa, die auf die Straßenbahn wartend, an der Haltestelle hin und her lief.
‚Es ist Zeit.‘ schoss es ihr durch Kopf. Kälte bemächtigte sich ihrer, langsam und unaufhaltsam kroch sie in ihre Eingeweide und vergiftete ihre Seele.
‚Du kannst es nicht aufhalten.‘ Die innere Stimme sprach mit ihr, wie mit einer scheinbar Fremden. ‚Akzeptiere es.‘
Abrupt blieb Zusa stehen. ‚Der weiße Transporter!‘
Die unabänderliche Wahrheit erkennend, sah sie die flüchtenden Männer an, welche hastig die Wagentür des zerbeulten Gefährts zustießen und die Straße hinunter rannten. Ein Blick auf die Uhr an der Straßenbahnanzeige sagte ihr, dass sie noch zwei Minuten bis um zwölf hatte und die Bahn in einer Minute einfahren sollte. Kostbare Sekunden verrannen, als ihr Blick nochmals die zwei Männer suchten. Diese sprangen gerade in ein wartendes Auto, welches mit Vollgas davon raste.
‚Zu spät, ich sagte es dir doch.‘ hob die innere Stimme an. ‚Keiner weicht seinem Schicksal aus.‘
Ihr Herz begann zu rasen. Kalter Schweiß bedeckte die erblasste Haut auf der Stirn. Die Panik begann ihre Gliedmaßen zu bewegen, doch bevor sie auch nur den ersten Schritt ausführen konnte, sah sie sie. Die Straßenbahn, welche pünktlich um die Ecke bog, um zwei Sekunden später vor ihr zum Stehen zu kommen.
Schnell sprang sie in den Wagen und irgendein Wahn, welchen sie nicht genau beziffern konnte, zwang sie sich ans Ende der Bahn zu setzen. Sie konnte den Blick nicht abwenden, von dem weißen Transporter, bis die Fahrtroute den Blickkontakt unterbrach.
Zusa wollte aufatmen, doch die Angst schnürte ihre Brust noch immer fest ein. Sie war erst ein paarhundert Meter entfernt, als ihre Uhr auf zwölf Uhr mittags umschaltete.
‚Jetzt gibt es nur warten.‘ begann die innere Stimme wieder.
„Eine vermeintliche Bombendrohung legte heute Mittag um zwölf die Innenstadt lahm. Passanten sahen, wie zwei ausländische Männer von diesem Lieferwagen zu einem geparkten Auto rannten und alarmierten die Polizei. Die herbeigerufenen Beamten konnten die unterdessen festgenommen Drogendealer samt ihres Lieferwagens mit ca. 250 Kilogramm Rauschgift sicherstellen …“
Felix schmunzelte vor sich hin, als er den Ort des „Verbrechens“ sah. Da würden seine Frau und ihre Kollegen aber wieder viel Aufregung gehabt haben, arbeiteten sie doch gleich um die Ecke.
Das Klingeln an der Tür hätte er beinahe überhört, als er im Fernseher den nächsten Beitrag sah. Ein völlig zerschmetterter Triebwagen der Straßenbahn, welcher von hinten nach vorn aufgerissen wurden war, wie eine Sardinenbüchse. Ein ausgebreitetes, weißes Tuch zeugte stumm von dem darunter liegenden Menschen.
Felix sprang schnell zur Wohnungstür, während im Fernseher weitere Details des Unfalles berichtet wurden. Ein Lkw war mit der Linie 92 kollidiert.
„Felix Hastmann?“ fragten zwei uniformierte Polizisten den erschrockenen Mann. Mit einem Nicken bat er die beiden hinein. Das einzige was Felix noch konnte war auf den Bildschirm des Fernsehers deuten und die Beamten fragend anzusehen.
„Ja, leider.“ stotterte der jüngere der beiden und nach einem leichten Rempler des älteren, sagte er: „Herr Hastmann, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass ihre Frau Zusa Hastmann bei einem Unfall zwischen der Linie 92 und einem Lkw ums Leben …“
Jillian schrak aus dem Schlaf. Das war sie! Ihre letzte Geschichte! Was aus weißen Transportern und Straßenbahnen im Schlaf doch alles wird und morgen könnte sie das männliche Alphabet beginnen…